[Akutschmerztherapie auf operativen und konservativen Stationen]
Dieter Korczak 1Carmen Kuczera 1
Meinhard Rust 1
1 GP Forschungsgruppe, Institut für Grundlagen- und Programmforschung, München, Deutschland
Zusammenfassung
Es wird die Effektivität der Akutschmerztherapie in Krankenhäusern untersucht. Eine effiziente Behandlung akuter Schmerzen ist wirksam und spart Kosten. Obwohl jeder Patient Anspruch auf Linderung seiner Schmerzen hat, behandeln viele Krankenhäuser akute Schmerzen noch nicht optimal.
Schlüsselwörter
akuter Schmerz, Akutschmerztherapie, diagnosebezogene Fallgruppen, DRG, Schmerzkliniken, Schmerzlinderung
Kurzfassung
Gesundheitspolitischer Hintergrund
Patienten haben einen medizin-ethischen und juristischen Anspruch auf die Linderung von Schmerzen. Die ausreichende Therapie akuter Schmerzen gehört deshalb zum Selbstverständnis ärztlichen Handelns und ist eine Herausforderung auf operativen und konservativen Krankenhausstationen. Die Qualität der Akutschmerztherapie im klinischen Alltag scheint jedoch aufgrund von Unter- oder Fehlversorgung weit von einer optimalen Situation entfernt zu sein. Durch spezialisierte Akutschmerzdienste (ASD) wird eine Verbesserung der Akutschmerztherapie angestrebt.
Die standardisierte Erfassung von Qualitätsindikatoren gibt Kliniken die Möglichkeit, das Schmerzmanagement anhand ausgewählter Qualitätsindikatoren zu überprüfen und zu verbessern.
Wissenschaftlicher Hintergrund
Schmerz wird von der International Association for the Study of Pain (IASP) als ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis bezeichnet, das mit aktueller oder potenzieller Gewebsschädigung einhergeht oder von Patienten so beschrieben wird. Das Schmerzempfinden der Menschen variiert stark und ist das Ergebnis des Zusammenspiels biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren. Daher gilt in der Schmerzbehandlung der Grundsatz, dass die subjektive Schmerzeinschätzung gegenüber einer Fremdeinschätzung Vorrang hat.
Zur Schmerzerfassung werden üblicherweise die Numerische Ratingskala (NRS), die Visuelle Analogskala (VAS) oder die Verbale Ratingskala (VRS) unter Ruhe und Belastung des Patienten verwendet. Des Weiteren werden der Schmerzbeginn sowie -dauer und -häufigkeit, die Lokalisation, die Schmerzqualität und schmerzauslösende bzw. -verstärkende Faktoren ermittelt. Darüber hinaus sollten psychosoziale Faktoren wie Angst, Depressionen, soziale Unterstützung und familiäres Umfeld (insbesondere bei Kindern und Jugendlichen) erfragt werden. Informationen zu aktuellen und früheren Schmerzbehandlungen (medikamentös/nichtmedikamentös) und deren Wirksamkeit und Verträglichkeit sowie die Erwartungen des Patienten hinsichtlich des Schmerzverlaufs gehören ebenfalls zu einer vollständigen Schmerzanamnese.
Abhängig von der zugrunde liegenden ursächlichen Krankheit bzw. der durchgeführten Operation und dem individuellen Schmerzempfinden des Patienten werden Nicht-Opioide, schwache und starke Opioide gegeben. Üblich sind in der Akutschmerztherapie die orale, rektale oder parenterale Applikation, systemisch oder lokoregional, als personal- oder patientenkontrollierte epidurale oder periphere Analgesie. Auch kontinuierliche Wundkatheter kommen zum Einsatz.
Forschungsfragen
Der Bericht befasst sich primär mit der Frage nach der Wirksamkeit der Akutschmerztherapie auf operativen und konservative Stationen und beurteilt diese anhand deutscher und internationaler Studienergebnisse. Es wird auch der Frage nachgegangen, inwieweit die Organisation des Akutschmerzmanagements (Organisationsstrukturen, Schnittstellenproblematik, interdisziplinäre Teams) und die Qualitätssicherung an Kliniken effektiv sind.
Aus ökonomischer Perspektive stellt sich die Frage nach der Kosten-Nutzen-Effektivität der Akutschmerztherapie im Krankenhaus. Außerdem ist die Frage zu klären, welche ethischen, sozialen und/oder juristischen Aspekte bei der Akutschmerztherapie zu berücksichtigen sind.
Methodik
Es ist eine systematische elektronische Datenbankrecherche für den Zeitraum 2005 bis Mai 2012 in 32 Datenbanken (u. a. MEDLINE, EMBASE, Cochrane) durchgeführt worden, ergänzt um Handrecherchen. Als Suchbegriffe sind u.a. Akutschmerz, postoperative Schmerztherapie, Schmerzklinik und ihre englischen Äquivalente verwendet worden. Im Oktober 2012 ist in den Datenbanken eine zusätzliche Recherche mit dem Suchbegriff „Fast Track Surgery“ durchgeführt worden. Zwei unabhängige Reviewer beurteilen anhand von Checklisten die gefundenen Treffer. Es sind nur Reviews und Studien mit hoher Evdienz ausgewählt worden. Die Evidenz ist anhand des Schemas des Oxford Centre of Evidence-based Medicine eingestuft worden.
Medizinische Forschungsergebnisse
Für den Health Technology Assessment (HTA)-Bericht sind 16 medizinische Studien ausgewählt worden. Die Situation in Deutschland wird mit sieben medizinischen Studien gut abgebildet. Die Mehrzahl der Studien hat einen hohen Evidenzlevel (drei Studien 1A, 13 Studien 2A bis 2C). Die Anzahl der Patienten mit moderaten oder schweren Schmerzen hat sich gegenüber 2000 reduziert. 29,5% der Patienten auf operativen Stationen geben moderate bis starke Ruheschmerzen an, auf konservativen Stationen sind es 36,8%. Die Anzahl der unzureichend therapierten Schmerzpatienten ist nicht gesunken, sie liegt bei 55% bis 58% der Schmerzpatienten. Schmerzpatienten auf konservativen Stationen werden weniger und schlechter versorgt als postoperative Patienten.
Aus den Studien ergibt sich mehrheitlich eine signifikante Schmerzlinderung durch die Akutschmerztherapie. Die große Variation hinsichtlich der eingesetzten Schmerzmedikamente, Gabeverfahren sowie der ursächlichen Erkrankungen erschwert eindeutige Aussagen zugunsten einzelner Therapien. Insgesamt erweist sich die Epiduralanalgesie (EDA) sowohl der patientenkontrollierten Analgesie (PCA) als auch Wundkathetern überlegen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Unsicherheiten hinsichtlich der klinischen Relevanz der ermittelten Schmerzreduktionen bestehen. Nur in zwei Studien wird eine Schmerzreduktion erreicht, die >13% bis 14% auf der NRS oder >30% (20 mm) auf der VAS ist. Als Grenzwerte für eine akzeptable Schmerzerträglichkeit in Ruhe werden NRS = 3, unter Belastung NRS = 4 und für den Maximalschmerz NRS = 5 ermittelt. Da das Schmerzempfinden interindividuell eine hohe Variabilität aufweist, ist die Patientenzufriedenheit ein weiterer Indikator für die Therapieeffizienz. Insgesamt ist die Patientenzufriedenheit mit der Akutschmerztherapie hoch.
Die Prävalenz von ASD ist niedrig, insbesondere konservative Stationen sind stark unterversorgt. Ausschlaggebend dafür ist der Personalmangel vor Ort und die Überlastung des Personals (Arzt/Schwestern) auf den Stationen. Durch eine adäquate personelle Ausstattung des ASD, regelmäßige und kontinuierliche Schmerzmessungen und Schmerztherapiedokumentation, individuell angepasste Analgesie, ausführliche Patienteninformation, Schmerztherapieschulung der Ärzte und des Pflegepersonals und Schmerztherapiequalitätszirkel sowie eine gute Schnittstellenorganisation wird eine Verbesserung der Akutschmerztherapie erreicht.
Ökonomische Ergebnisse
Fünf Studien befassen sich mit gesundheitsökonomischen Fragestellungen, drei dieser Studien analysieren die deutsche Situation. Als Ergebnis zeigt sich, dass die Akutschmerztherapie finanziell durch die Diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) gedeckt ist. Eine angemessene Kostenbeurteilung ist jedoch nur dann gegeben, wenn die Kosten stationsübergreifend (zwischen den Leistungserbringern) betrachtet werden. Der wesentliche Kostenreduktionseffekt tritt durch die Verweildauerverkürzung und durch eine geringere Wiedereinweisungsrate ein. Für eine realistische Kostenbeurteilung ist daher die Implementation eines entsprechenden Kostenumlageverfahrens notwendig. Pro Fall werden 17,4% der Kosten durch den ASD eingespart.
Ethische, soziale und juristische Ergebnisse
Es sind keine Studien zu ethischen, sozialen oder juristischen Implikationen der Akutschmerztherapie gefunden worden. Aus dem Anspruch der Patienten auf Schmerzlinderung kann jedoch die Forderung nach einem 24-stündigen ASD sowohl für operative wie nichtoperative Stationen abgeleitet werden.
Zu berücksichtigen ist, dass eine unterlassene oder nicht dem wissenschaftlichen Stand entsprechende Schmerzbehandlung strafrechtliche Folgen nach sich ziehen kann (§ 223 StGB [Strafgesetzbuch] Körperverletzung, § 323c StGB unterlassene Hilfeleistung).
Zu Geschlechtsunterschieden in der Akutschmerztherapie liefern die Studien keine belastbaren Ergebnisse.
Diskussion
Die Studienlage zur Akutschmerztherapie ist hinsichtlich der postoperativen Schmerztherapie zufriedenstellend, hinsichtlich der Schmerztherapie auf konservativen Stationen jedoch unzureichend. Die Studienlage ist somit auch ein Abbild der Unterversorgung auf konservativen Stationen. Es wird deutlich, dass die Akutschmerztherapie noch nicht im Routinebetrieb der Krankenhäuser angekommen ist, obwohl die Studienergebnisse stringent seit Jahren den Nutzen des ASD für die Verbesserung der Akutschmerztherapie belegen. Bei der Verwendung von Skalen zur Messung der Schmerzintensität ist auffällig, dass die Interpretationspielräume der erzielten Schmerzreduktionen groß sind. Dies ist für eine Standardisierung der Akutschmerztherapie hinderlich. Schnittstellenproblematiken werden in den Studien zu selten berücksichtigt und analysiert.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse zeigen, dass die Akutschmerztherapie auf den postoperativen und konservativen Stationen wirksam und kosteneffektiv (durch Verkürzung der Liegezeiten) ist, aber auch weiter verbessert werden kann und muss sowie mehr Schmerzpatienten erreichen sollte.
Es wird der weitere systematische Ausbau der ASD empfohlen. Der Wissensstand des medizinischen Personals zur Akutschmerztherapie muss durch regelmäßige Schulungen in allen Bereichen gesichert und weiterentwickelt werden. Das Pflegepersonal vor Ort ist Mittler zwischen Patient und Arzt und sollte deshalb vordringlich in die Schmerztherapie einbezogen werden. Eine umfassende und regelmäßige Dokumentation der durchgeführten Schmerzerfassung (mit mindestens VAS oder NRS) und der medikamentösen Behandlung einschließlich der evtl. auftretenden Nebenwirkungen ist notwendig. Dies sollte postoperativ mindestens die ersten drei Tage lang erfolgen. Schriftlich fixierte Richtlinien zur standardisierten Schmerztherapie, differenziert nach einzelnen Krankheiten und den verschiedenen Operationen, sollten die behandelnden Ärzte unterstützen. Sie ersetzen aber nicht die genaue Analyse der Schmerzursachen und Wirkungsmechanismen. Diese ist die Grundlage einer individuell zugeschnittenen Schmerzbehandlung, die höchste Wirksamkeit mit sich bringt. Es müssen standardisierte Lösungen für die Schnittstellenproblematik im Übergang zwischen den Stationen sowie zwischen den verschiedenen Leistungserbringern entwickelt und implementiert werden. Dazu gehört auch eine leistungsgerechte Kosten- und Mittelzuweisung. Die Akutschmerztherapie sollte über die analgetische Versorgung des Patienten hinausgehen. Auch die Möglichkeiten der nichtmedikamentösen Behandlung werden im Klinikalltag nicht ausgeschöpft, so werden etwa psychologische Aspekte (z.B. Ängste) nur unzureichend beachtet. Die Effektivität von multimodalen Ansätzen in der Akutschmerztherapie sollte differenziert nach Analgetikakombinationen im Rahmen von randomisierten kontrollierten Studien (RCT) weiter evaluiert werden. Forschungslücken in der ambulanten postoperativen Akutschmerztherapie müssen geschlossen werden. Auch Patienten auf konservativen Stationen haben einen Rechtsanspruch auf Akutschmerztherapie und Schmerztherapie generell, deshalb muss auf den konservativen Stationen die Akutschmerztherapie verbessert werden.
Anmerkungen
Interessenkonflikte
Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
INAHTA-Checkliste
Checkliste für HTA-bezogene Dokumente (Anhang 1 [Anh. 1]).
Anhänge
Attachment 1 | Checklist for HTA related documents (hta346_INAHTA_Checklist_2007-2.pdf, application/pdf, 123.93 KBytes) |
Erratum
Der Artikel wurde zuerst ohne Abstracts publiziert.