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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017_N


Projekt
Humanmedizin

Großpraktika effizient gestalten: ein neuer Workshop für Lehrende in der Medizin

 Wolfgang Öchsner 1
Ulrich Fassnacht 2

1 Universitätsklinik Ulm, Abteilung Kardioanästhesiologie, Ulm, Deutschland
2 Universität Ulm, Abteilung Anatomie und Zellbiologie, Ulm, Deutschland

Zusammenfassung

In der Medizinerausbildung stellen Praktika mit großen Studierendenzahlen (Großpraktika) eine gängige Veranstaltungsform dar. Diesen Großpraktika kommt eine wichtige Funktion beim Brückenschlag zwischen angeeignetem Wissen und praktischen Fertigkeiten zu. Ihre Gestaltung ist für die Lehrenden mit enormen organisatorischen, logistischen und didaktischen Herausforderungen verbunden, für die sich in der Literatur wenig Hilfe findet. Aufgrund entsprechender Nachfrage an der Medizinischen Fakultät Ulm haben wir deshalb einen neuen 1-tägigen Workshop zum Thema "Großpraktika effizient gestalten" entwickelt, der auf 5 Modulen beruht:

1. Organisations- und Strukturmodelle

2. Formulierung von Lernzielen

3. Didaktik im Großpraktikum

4. Lernstile

5. Motivierung der Studierenden.

Der Workshop wurde im März 2005 mit 11 Teilnehmern erstmals durchgeführt und wird aufgrund der positiven Rückmeldungen künftig regelmäßig angeboten.


Schlüsselwörter

Medizinische Ausbildung, Didaktik, Dozententraining, Praktika, große Studierendenzahlen

Einleitung

Unser Ausgangspunkt war die Nachfrage aus der Medizinischen Fakultät Ulm nach einem Trainingsangebot für Lehrende, die in Praktika für große Studierendenzahlen (n > 100) involviert sind.

Die Herausforderung für die Lehrenden bei der inhaltlichen und organisatorischen Gestaltung und bei der Durchführung dieser Großpraktika wurde als enorm erlebt. Insbesondere wurden folgende Punkte von der Zielgruppe als problematisch empfunden:

• Welche Lernziele strebe ich im Großpraktikum an?

• Welche räumlichen, didaktischen, kommunikativen Konzepte gibt es? Wie halte ich die Studierenden bei der Stange?

Eine solche Trainingsmöglichkeit stand der Fakultät bislang nicht zur Verfügung, und auch in der medizindidaktischen Literatur wird auf Praktika mit großen Gruppen nur sporadisch eingegangen [3], [4], [7], [13], [16], [21].

Projektbeschreibung

1. Konzeptentwicklung

Für den Workshop "Großpraktika effizient gestalten - Stärken der Veranstaltungsform nutzen, Schwächen kompensieren" erfolgte zunächst eine Abstimmung der Ziele und Inhalte zwischen den Moderatoren und Vertretern der Zielgruppe. Ergebnis war ein Konzept aus 5 "Modulen" (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Alle 5 Module werden auch in der Literatur als wichtige Items gerankt [17]. Die Gesamtstundenzahl wurde auf 9 UE konzipiert.

Tabelle 1: Workshop-Module (1 UE = 45 Minuten); TN = Teilnehmer

2. Durchführung

Der Workshop fand im März 2005 erstmalig mit 11 Teilnehmern aus 5 unterschiedlichen Fachbereichen statt. 5 Teilnehmer waren habilitiert. Moderatoren waren die beiden Autoren.

2.1. Aktuelle Organisations- und Strukturmodelle

Hier sollten organisatorische und strukturelle Fragen der jeweiligen Lehr- und Lernumgebung mit Hilfe mitgebrachter Eckdaten (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]) beantwortet werden.

Tabelle 2: Auswahl aus den Vorbereitungsaufgaben

Die Teilnehmer entwarfen und präsentierten Poster zur entsprechenden Darstellung ihres Großpraktikums. Insbesondere wurden Stärken und Schwächen bzw. Vorteile und Nachteile erläutert. So entstand ein Überblick über einige der üblichen Modelle für Großpraktika und der damit gemachten Erfahrungen.

2.2. Professionelle Formulierung von Lernzielen für das Großpraktikum

Aufgrund ihrer Prägnanz wählten wir die SMART-Kriterien (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]) als Matrix zur Lernzielformulierung [18]. Vor allem das Kriterium "measurable" wurde trainiert, da hier noch deutliche Unsicherheiten bestanden. Die zentrale Bedeutung der Auswahl geeigneter Verben (z.B. "demonstrieren" statt "kennen", "darlegen" statt "wissen") wurde transparent gemacht [11]. Auch im Peer-Review-Prozess erwies sich die SMART-Matrix als praktikable Arbeitsgrundlage.

Tabelle 3: SMART-Kriterien

In manchen Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass eine klare Formulierung und Kategorisierung der angestrebten Lernziele (knowledge - skills - attitudes; Reproduktion - Interpretation - Problemlösung) zur Infragestellung mancher praktischer Aufgaben führen kann.

2.3. Didaktik im Großpraktikum als "best-of-both"-Modell

Praktisch alle in Ulm gängigen Großpraktika verfügen über Plenaranteile und Anteile von Arbeit in Gruppen; in diesem Sinn haben wir Großpraktika als "Hybridformat" aus Vorlesung und Kleingruppenpraktikum definiert. Um tatsächlich beide Formate optimal zu nutzen, haben wir eine "best of both"-Strategie vermittelt (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Wesentlich ist, dass jedes der verwendeten Veranstaltungsformate ganz bewusst so eingesetzt wird, dass es in optimaler Weise seine spezifischen Stärken ausspielen kann und so zum Lernerfolg beiträgt ([1], [20], [23]). Die Rollen der Lehrenden können innerhalb der Lehrformate beträchtlich variieren [8].

Abbildung 1: Grundsätzliche Lehrformate und ihr Einsatz im Großpraktikum ("best-of-both"-Modell)

Das Zusammenspiel von Plenum und Arbeit in der Gruppe kann zeitlich und räumlich kontinuierlich oder diskontinuierlich stattfinden. Auch für das quantitative Verhältnis von "Plenumsarbeit" zu "Arbeit in Gruppen" gibt es keine festen Regeln, wenngleich die Praxisanteile natürlich dominieren sollten.

Die Teilnehmer entwickelten Strategien, um das "best-of-both"-Modell für ihre konkreten Lernziele zu nutzen. Beispielhaft wurden einzelne Umsetzungsstrategien im Plenum präsentiert und diskutiert.

2.4. Lernstile der Studierenden

Exemplarisch wurde zunächst verdeutlicht, dass es differente Herangehensweisen an Lernsituationen gibt. Insbesondere das Lernstil-Modell nach Kolb ([9], [12], [19]) wurde als nützliches Modell eingeführt. Für jeden Lernstil (Diverging - Assimilating - Converging - Accommodating) wählten die Teilnehmer anhand konkreter Aufgaben passende Lehrmethoden, die für die Anwendung im Großpraktikum geeignet sind.

2.5. Motivierung der Studierenden

Im Rahmen einer Gruppenarbeit wurden 4 Motivierungsebenen in Form einer Motivierungspyramide ([5], [15], [19]) vorgelegt. Die Teilnehmer hatten die Aufgabe, für jede Ebene (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]) Situationen aus ihren Praktika auszuwählen, deren "Bewältigung" sich motivationssteigernd oder -hemmmend auswirken kann. Diese Strategien wurden ansatzweise auch auf die Praktikumsbetreuer (Tutoren, wissenschaftliche Hilfskräfte) übertragen.

Abbildung 2: 4 Ebenen der Motivierungspyramide

Evaluation des Workshops

Wir verwendeten den Standard-Evaluationsbogen der Arbeitsstelle Hochschuldidaktik in Ulm. Der schriftliche Evaluationsbogen wurde von 8 Teilnehmern ausgefüllt. Die Bewertung erfolgte anhand von Schulnoten (1=sehr gut, 6=ungenügend) bzw. als Freitextangabe (siehe Tabellen 4, 5 [Tab. 4] [Tab. 5]).

Tabelle 4: Evaluationsergebnisse (MW = Mittelwert, SD = Standardabweichung)

Tabelle 5: Freitextangaben der Teilnehmer

Diskussion und Ausblick

Da Praktika mit großen Studierendenzahlen in der Medizin durchaus noch üblich sind, andererseits dazu wenig spezifische Weiterbildungsliteratur zur Verfügung steht, erscheint die Neukonzeption eines Workshops zum Thema "Großpraktika" lohnend - auch unter dem Blickwinkel des "faculty development" ([2], [6], [10]).

Die guten bis sehr guten Evaluationsergebnisse haben uns ermuntert, den Workshop in seiner grundsätzlichen Konzeption beizubehalten und regelmäßig anzubieten. Die kritische Selbstreflexion der Teilnehmer bezüglich eigener Praktikumsinhalte entspricht der aktuellen Diskussion in der Literatur ([14], [16]). Dies wird von den Autoren als positiv gewertet. Wünschenswert aus Teilnehmersicht wäre die Aufnahme eines Moduls "Betreuerschulung" (Tutoren, Hilfskräfte) und aus Moderatorensicht die Hinzunahme eines Moduls "Prüfungen" (praxisorientierte Prüfungsverfahren). Im Zuge limitierter Zeitressourcen der potentiellen Zielgruppen muß allerdings zwischen Wünschenswertem und Praktikablem abgewogen werden.

Da möglicherweise ein interdisziplinärer Austausch innerhalb des Workshops neue Erfahrungshorizonte eröffnet, werden wir den Workshop auch für Naturwissenschaftler außerhalb der Medizin öffnen.


Literatur

[1] Abs HJ, Cramer M, Hanke U, Hoh R, Macke G, Raether W, Ritter A. Methoden zur Förderung aktiven Lernens. In: Besser Lehren. Praxisorientierte Anregungen und Hilfen für Lehrende in Hochschule und Weiterbildung. Heft 3. 2. Aufl. Weinheim, Basel: Beltz Verlag; 2001.
[2] Dennick R. Long-term retention of teaching skills after attending the Teaching Improvement Project: a longitudinal, self-evaluation study. Med Teach. 2003;25:314-318.
[3] Dirks B, Keller A, Öchsner W, Jäger G, Weißer FO, Georgieff M. Der Ulmer Notfallparcours - Teil 1: Konzept. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 1996;31:168-171.
[4] Dirks B, Keller A, Öchsner W, Jäger G, Weißer FO, Georgieff M. Der Ulmer Notfallparcours - Teil 2: Realisation und Akzeptanz des Praktikums. Notfallmedizin. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 1996;31:222-227.
[5] Döring KW, Ritter-Mamcek B. Motivierender Unterricht - ein Konzept. In: Döring KW, Ritter-Mamcek B. Lehren und Trainieren in der Weiterbildung. 8. Auflage Weinheim: Deutscher Studienverlag; 2001.
[6] Godfrey J, Dennick R, Welsh C. Training the trainers: do teaching courses develop teaching skills? Med Educ. 2004;38:844-847.
[7] Greenspan JD. A laboratory exercise in somesthesis that is expeditious, inexpensive, and suitable for large classes. Adv Physiol Educ. 1993;10:2-9.
[8] Harden RM, Crosby JR. The good teacher is more than a lecturer - the twelve roles of a teacher. An extended summary of AMEE Medical Education Guide No 20. Med Teach. 2000;22(4):334-337.
[9] Healey M, Jenkins J. Kolb´s experiental learning theory and its application in geography in higher education. J Geog. 2000;99:185-195.
[10] Hofer M, Jansen M, Soboll S. Effektive Didaktiktrainings für Dozenten der Medizin. GMS Z Med Ausbild. 2005; 22(1):Doc07.
[11] Kern DE, Thomas PA, Howard DM, Bass EB. Curriculum development for medical education. A six-step approach. Baltimore, London: The Johns Hopkins University Press; 1998.
[12] Kolb DA. Learning Style Inventory. Revised edition. Boston: McBer; 1985.
[13] Kwanashie KO, Amabeoku GJ, Auta J. Factors modifying duration of drug action: a practical for large undergraduate classes on limited laboratory space, staff and budget. Med Educ. 1989;23:409-412.
[14] Lempp HK. Perceptions of dissection by students in one medical school: beyond learning about anatomy. A qualitative study. Med Educ. 2005;39:318-325.
[15] Marks F. Motivierung von Studierenden im seminaristischen Unterricht. In: Berendt B, Voss HP, Wildt J (Hrsg.). Neues Handbuch Hochschullehre. Stuttgart, Berlin, Budapest, Prag, Sofia, Warschau: Raabe; 2002.
[16] Marshall R, Cartwright N, Mattick K. Teaching and learning pathology: a critical review of the English literature. Med Educ. 2004;38:302-313.
[17] McLeod PJ, Steinert Y, Meagher T, McLeod A. The ABCs of pedagogy for clinical teachers. Med Educ. 2003;37:638-644.
[18] Mennin SP, Richter DM. Teaching for learning: learning for health. Quick reference guides for planning, implementing, and assessing learning experiences. The Network: TUFH. The university of New Mexico school of medicine, Albuquerque. [updated 2003; zitiert 2005 Aug 04]. Zugänglich unter: http://hsc.unm.edu/som/ted/.
[19] Nilson LB. Teaching at its best. A research-based resource for college instructors. 2nd ed. Bolton: Anker publishing Company, Inc.; 2003.
[20] Richardson Dr, Birge B. Teaching physiology by combined passive (pedagogical) and active (andragogical) methods. Adv Physiol Educ. 1995;13:66-74.
[21] Richardson DR, Carroll RG. Active learning in large class settings. Conference Report. Adv Physiol Educ. 1995;14:73-79.
[22] Tavares MAF, Amandio JV, Cunha NT, Machado JD, Cardoso V, Silva MC. Evaluation of practical sessions in clinical anatomy: A strategy for educational improvement. Clin Anat. 2002;15:51-55.
[23] Weintraub GS. Seminar formats for large classes. J Dent Educ. 1977;41:268-269.