[Präsenzlehre mit Simulationspersonen in Zeiten von COVID-19: Das Gesprächsführungspraktikum im 2. Studienjahr des Modellstudiengangs HannibaL]
Thomas von Lengerke 1Kambiz Afshar 2
Ingo Just 3
Karin Lange 1
1 Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie, Simulationspatienten-Programm (SPP-MHH), Hannover, Deutschland
2 Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin, Modul „Diagnostische Methoden“, Hannover, Deutschland
3 Medizinische Hochschule Hannover, Studiendekan für Medizin und Bachelor-/Masterstudiengänge, Hannover, Deutschland
Zusammenfassung
Zielsetzung: Im Frühjahr 2020 stellte sich angesichts der COVID-19-Pandemie an der Medizinischen Hochschule Hannover die Frage, wie im Gesprächsführungspraktikum des Moduls „Diagnostische Methoden“ im 2. Studienjahr des Modellstudiengangs HannibaL Simulationspersonen (SPs) zum Einsatz kommen können.
Methodik: Dieser Kurzbeitrag fasst den Prozess zusammen, der zur Realisierung von SPs-Einsätzen als analoge Präsenzlehre führte, und beschreibt die relevanten Ergebnisse der abschließenden Objective Structured Clinical Examination (OSCE) im Vergleich zum Vorjahr.
Ergebnisse: Insgesamt zeigt sich die Realisierbarkeit der analogen SP-Einsätze unter den standortortspezifischen Bedingungen und auf Basis eines adhärenten Hygienekonzepts, wobei die OSCE-Ergebnisse nur unwesentlich von denen des Vorjahres abwichen.
Schlussfolgerung: Während der COVID-19-Pandemie und ggf. weiterer Epidemien wird es auch künftig darauf angekommen, unter Berücksichtigung von Standortspezifika hochschuldidaktisch zielführende und präventiv wirksame Entscheidungen zu treffen.
Schlüsselwörter
Simulationspersonen, Kommunikative und soziale Kompetenzen, Arzt-Patient-Gesprächsführung, medizinische Ausbildung, Hygiene, COVID-19
Einleitung
Obwohl eine wissenschaftlich verwertbare Definition von „Präsenzlehre“ aktuell nicht verfügbar scheint und das Gefühl von „Präsenz“ aus medienpsychologischer Sicht auch in digitalen Lehrformaten entstehen kann [1], wie einzelne kontrollierte Evaluationsstudien auch an medizinischen Fakultäten gezeigt haben [2], [3], sind Vorteile analoger Präsenzlehre (i. S. [auch] physischer Präsenz) besonders bei der Vermittlung praktischer Fertigkeiten plausibel. Dies gilt auch für kommunikative und soziale Kompetenzen – zumal dann, wenn ihre Vermittlung unter Einsatz von Simulationspersonen erfolgt. Die Gründe hierfür können vielfältig sein:
Technisch
- Softwaretools (z. B. [4]) stehen vor Ort (noch) nicht zur Verfügung;
- Hardware, Internetanbindungen und Netzwerkzugänge sind z. B. seitens der Simulationspersonen oder der Studierenden weder qualitativ noch quantitativ ausreichend.
Didaktisch
- Studierende sollen kommunikative und soziale Kompetenzen erstmalig unter Einsatz von Simulationspersonen erlernen, und daher Kommunikationssituationen physisch und psychisch präsent, mit möglichst vielen Sinnen und im sozialen Raum dreidimensional erleben;
- das Erreichen von Lernzielen, die auf nonverbales Verhalten oder Emotionen bezogen sind, soll nicht durch digitalisierungsbedingte Spezifika der Kommunikationssituation beeinflusst werden.
So stellte sich während der COVID-19-Pandemie im Sommersemester 2020 im Modellstudiengang HannibaL die Frage, wie im Gesprächsführungspraktikum des Moduls „Diagnostische Methoden“ (2. Studienjahr) Simulationspersonen (SPs) zum Einsatz kommen können. Das Ziel der im Folgenden beschriebenen Ad hoc-Interventionen war es, Studierenden das Üben mit SPs im Rahmen analoger Präsenzlehre zu ermöglichen.
Projektbeschreibung
Das Praktikum bereitet auf zwei von neun Stationen (biopsychosoziale Anamnese und Diagnosemitteilung, je 15 Minuten) einer M1-äquivalenten, kumulativen Objective Structured Clinical Examination (OSCE) vor, die jeweils ein Sechstel der maximal erreichbaren 300 Punkte ausmachen (Bestehensgrenze: 60%; Gesamtprüfungsdauer: 95 min; Weiteres siehe [5]). Für 28 Gruppen mit in der Regel 10 Studierenden umfasst das Praktikum jeweils sieben Termine (siehe auch [6]). Während die Termine 1-2 vom 17.2.-12.3.20 noch analog-präsent durchgeführt worden waren, verteilten sich Termine 3-7 vom 20.4.-25.6.20. Somit galt hier zunächst das Format der asynchronen Online-Lehre (E-Mail-Mitteilung des Studiendekans, 2.4.20). Daher wurde zunächst entschieden, das Sommertertial mit zwei Terminen ohne SPs und die Termine mit SPs (Anamnese, Diagnosemitteilung, Prüfungstraining) möglichst spät, also ab dem 18.5.20 beginnen zu lassen, um auf mögliche Lockerungen reagieren zu können. Nachdem ab dem 11.5.20 ambulante Patientenbesuche in klinischen Studien wieder möglich wurden, hat die Hochschulleitung auch analoge Präsenzlehre mit geplanten SP-Einsätzen unter Einhaltung der Hygienevorschriften (s. u.) genehmigt. Damit konnte jede/r Studierende wie geplant an drei analogen SP-Terminen teilnehmen.
Selbstverständlich setzte dies ein adhärentes Hygienekonzept voraus. Es beinhaltete neben Hände- und Flächendesinfektion das Tragen von Alltagsmasken aller Beteiligten ab Betreten des Lehrgebäudes bis zur Platzierung im Lehrraum sowie nach Verlassen des Platzes. Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt schematisch die entsprechende „Anordnung“ im Lehrraum, wodurch die vorgegebenen Abstände durchgehend eingehalten werden konnten. Voraussetzung war, die Gruppen, die im Normalfall drei Zeitstunden pro Sitzung haben, in je zwei Fünfer-Gruppen mit zwei Zeitstunden zu teilen (siehe den Ablaufplan in Abbildung 1 [Abb. 1]). Die OSCE sollte vom 2.-10.7.20 im Skills Lab Hannover (SkilLaH) stattfinden. Am 11.6.20 wurde beschlossen, dass Studierende, Prüfende und SPs an allen Prüfungsstationen eine Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) tragen müssen. Um die Studierenden dementsprechend bestmöglich auch auf die Gesprächsführungsstationen vorzubereiten, wurde für den 7. Termin empfohlen, mit MNB zu üben.
Abbildung 1:Schematische Darstellung der „Anordnung“ im Lehrraum (links)* und Ablaufplan (rechts) einer analogen Gesprächsführungspraktikumssitzung mit SPs im Modul „Diagnostische Methoden“ des Modellstudiengangs HannibaL, 18.5.-25.6.2020
Insgesamt wurde also ein „Blended Learning“-Ansatz umgesetzt, bei dem die nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Deutscher Bundestag, 25.3.20) verbleibenden Praktikumstermine als eLearning geplant, jedoch auf Basis der o. g. Entwicklungen alle Termine mit SPs als analoge Präsenzlehre durchgeführt wurden. Vergleiche der OSCE-Punkte mit dem Vorjahr mittels IBM SPSS® (v26) UNIANOVAs und wegen nicht normalverteilter Größen vergleichend Mann-Whitney-U-Tests zeigen, dass sich weder die Anamnese (Mittelwert=42,1 bzw. Median=43,0 im Jahr 2020 vs. 41,9 bzw. 43,0 im Jahr 2019, p=0,647 bzw. 0,808), die Diagnosemitteilung (41,7 bzw. 43,0 vs. 41,5 bzw. 43,0, p=0,585 bzw. 0,891) noch die OSCE-Gesamtpunkte (249,1 bzw. 249,0 vs. 247,8 bzw. 252,0; p=0,459 bzw. 0,268) unterschieden. Auch der Anteil der Teilnehmenden, die sich nicht zum OSCE angemeldet hatten, war vergleichbar (2020: 6,6%, 2019: 7,7%; 95%-KI der Differenz -5,4%|3,2%). Ebenso war die Evaluation (bei in 2020 9,0% geringerer Beteiligung) weder bezüglich des Gesamtmoduls (12,1 bzw. 12,0 vs. 12,4 bzw. 13,0 Punkte [von 15], p=0,354 bzw. 0,315) noch des SP-Einsatzes (1,1 bzw. 1,0 vs. 1,2 bzw. 1,0, p=0,109 bzw. 0,188) und der subjektiven Lernzielerreichung bzgl. Anamnese (je 1,3 bzw. 1,0, p = 0,249 bzw. p=0,263; Skala: „1 trifft voll zu“ bis „6 trifft überhaupt nicht zu“) abweichend. Lediglich bei der Diagnosemitteilung fiel diese Einschätzung zwar statistisch signifikant, jedoch inhaltlich unwesentlich geringer aus (1,6 bzw. 1,0 vs. 1,4 bzw. 1,0, p=0,024 bzw. 0,054), zumal dies nicht den OSCE-Punkten entsprach (siehe oben) und nach Bonferroni-Korrektur (p<0,0125) auch parametrisch nicht mehr signifikant war.
Fazit
Ob unser Vorgehen angesichts der Situation im Sommersemester 2020 Vorbild für andere Standorte ist, möchten wir wegen der vielen Standortspezifika nicht bewerten. Auch ist uns bewusst, dass der GMA-Ausschuss Simulationspersonen mit Verweis auf Peters et al. [7] empfohlen hatte, auf direkte SP-Kontakte in Lehr- oder Fortbildungssituationen „wo irgend möglich“ zu verzichten ([8], S. 1). Zugleich finden sich weder bei Peters & Thrien [9] die Sachworte „Blended Learning“, „eLearning“, „digital“ oder „virtuell“, noch ergab eine PubMed-Suche am 17.7.20 relevante Treffer zu SPs und COVID-19 (Algorithmus auf Anfrage). Beides zeigt u. E., dass wegen der fehlenden Pandemieerfahrungen für die SP-Lehre standortortspezifische Lösungen gefunden werden mussten. Der Umstand, dass auch zwei Wochen nach Ende der OSCE keine SARS-CoV-2-Infektion im Zusammenhang mit den hier beschriebenen SP-Einsätzen bekannt geworden ist, zeigt, dass unter Einhaltung der Hygienevorschriften (Abstand und MSB) ein didaktisch sinnvoller und infektionsrisikominimierter analoger Präsenzunterricht vertretbar sein kann. Das Ziel der hier beschriebenen Ad hoc-Interventionen, Studierenden effektives Üben mit SPs im Rahmen analoger Präsenzlehre zu ermöglichen, ist angesichts der Prüfungs- und Evaluationsergebnisse offenkundig erreicht worden.
Danksagung
Wir danken Dr. Ella Ebadi für ihre Unterstützung bei der Entwicklung des Hygienekonzepts für unser spezifisches analoges Präsenzsetting, Zada Akyol für ihre unermüdliche administrative Unterstützung, und selbstverständlich allen Simulationspatienten für ihre Teilnahme in dieser herausfordernden Zeit.
Interessenkonflikt
Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
[1] Oleimeulen K. Das kognitive Gefühl von Präsenz in medialen Tutorien oder Ist reale Präsenzlehre präsenter als virtuelle Präsenzlehre? Bad Honnef: IUBH Internationale Hochschule; 2019. Zugänglich unter/available from: https://www.iubh-university.de/wp-content/uploads/VPL_Oleimeulen_discussionPaper.pdf[2] Drees C, Ghebremedhin E, Hansen M. Development of an interactive e-learning software "Histologie für Mediziner" for medical histology courses and its overall impact on learning outcomes and motivation.. GMS J Med Educ. 2020;37(3):Doc35. DOI: 10.3205/zma001328
[3] Schneider AT, Albers P, Müller-Mattheis V. E-Learning in urology: implementation of the learning and teaching platform CASUS® - do virtual patients lead to improved learning outcomes? A randomized study among students. Urol Int. 2015;94(4):412-418. DOI: 10.1159/000368653
[4] Daetwyler CJ, Cohen DG, Gracely E, Novack DH. eLearning to enhance physician patient communication: a pilot test of "doc.com" and "WebEncounter". Med Teach. 2010;32(9):e381-390. DOI: 10.3109/0142159X.2010.495759
[5] Dettmer S, Schneidewind S, Fischer V, Derlin K, Schneider N, Wacker F, Afshar K. [Structured chest X-ray imaging training with OSCE examination: results of a feasibility study and follow-up survey]. Radiologe. 2020;60(9):839-849. DOI: 10.1007/s00117-020-00684-4
[6] von Lengerke T, Kursch A, Lange K; APG-Lehrteam MHH. The communication skills course for second year medical students at Hannover Medical School: An evaluation study based on students' self-assessments. GMS Z Med Ausbild. 2011;28(4):Doc54. DOI: 10.3205/zma000766
[7] Peters T, Sommer M, Fritz AH, Kursch A, Thrien C. Minimum standards and development perspectives for the use of simulated patients - a position paper of the committee for simulated patients of the German Association for Medical Education. GMS J Med Educ. 2019;36(3):Doc31. DOI: 10.3205/zma001239
[8] Peters T, Thrien C; Ausschuss Simulationspersonen. COVID-19. Erlangen: Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA); 2020. Zugänglich unter/available from: https://gesellschaft-medizinische-ausbildung.org/startseite.html
[9] Peters T, Thrien C, editors. Simulationspatienten: Handbuch für die Aus- und Weiterbildung in medizinischen und Gesundheitsberufen. Göttingen: Hogrefe; 2018. DOI: 10.1024/85756-000