[Praktische Lehre im Medizinstudium in Zeiten von COVID-19. Bericht über die COVID-19-bedingte Umgestaltung der peergestützten Lehre im Skills Lab mithilfe eines Inverted-Classroom-Formats]
Anne Röhle 1Henrike Horneff 1,2
Marie-Christin Willemer 1
1 Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Medizinisches Interprofessionelles Trainingszentrum, Dresden, Deutschland
2 Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Skills und Simulationszentrum LernKlinik, Leipzig, Deutschland
Zusammenfassung
Zielsetzung: Bedingt durch die COVID-19-Pandemie entstanden insbesondere für die praktische Ausbildung des Human- und Zahnmedizinstudiums drastische Einschränkungen. Während der Notbetriebslehre im Sommersemester 2020 fand im Skills Lab Dresden, dem Medizinischen Interprofessionellen Trainingszentrum (MITZ), ein Pilotprojekt zur Umsetzung von praktischer Präsenzlehre unter COVID-19-Bedingungen statt. Studierende konnten weiterhin kommunikative und manuelle Basisfertigkeiten trainieren. Dieser Projektbericht stellt die nötigen Anpassungen für dieses Lehrkonzept vor und diskutiert deren Durchführbarkeit sowie ausgewählte Auswertungsergebnisse des Probedurchlaufs.
Projektbeschreibung: In der regulären curricularen Lehre absolvieren die Studierenden in Kleingruppen Trainingsstationen im Rotationsprinzip. Die Lehre findet im Peer-Teaching-Format statt. Für den Notbetrieb wurde als Lehrkonzept ein Inverted-Classroom-Modell mit Vorbereitung durch digitales Lernen und Präsenzlehre implementiert. Für das Konzept und die Einhaltung der Eindämmungsbestimmungen wurden organisatorische und didaktische Anpassungen vorgenommen. Mit Hilfe eines standardisierten Online-Fragebogens wurde die Studierendenevaluation durchgeführt.
Ergebnisse: Im Notbetrieb absolvierten 1012 Studierende die Trainings. Durch die Eindämmungsbestimmungen kam es zu einer höheren Anzahl an Trainingsterminen und einem erhöhten Arbeitsaufwand. Nur einer der bereitgestellten Ausweichtermine musste COVID-19-bedingt genutzt werden. Infektionsketten wären nachvollziehbar gewesen. Der Großteil der Studierenden empfand die Bereitstellung von Informationen über Moodle als ausreichend und sah keine technischen Probleme. Die Auswertung der Studierendenevaluation zeigte eine hohe Gesamtzufriedenheit mit dem angepassten Lehrkonzept.
Schlussfolgerung: Im erneuten oder fortzusetzenden Notbetrieb wird das MITZ das Konzept modifiziert wieder nutzen. Zudem wird das Inverted-Classroom-Modell als fester Bestandteil der regulären Lehre etabliert. Die Erkenntnisse können für andere Skills Labs zur Erarbeitung von Konzepten für die Notbetriebslehre von Interesse sein, um die standortindividuellen Ressourcen effizient zu nutzen.
Schlüsselwörter
Blended Learning, E-Learning, Digitalisierung, COVID-19, SARS-CoV-2, Interaktives Lernen, medical education, medical training, peer-assisted learning, Skills Lab
1. Hintergrund
Mit der Entscheidung, die TU Dresden aufgrund der COVID-19-Pandemie vom Regel- in den Notbetrieb zu überführen, wurde das Medizinische Interprofessionelle Trainingszentrum (MITZ), das Skills Lab der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, vor besondere Herausforderungen gestellt. Das Curriculum des Humanmedizinstudiums sieht 35 und das des Zahnmedizinstudiums 14 Trainings vor (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Kleingruppen von bis zu sechs Studierenden (ST) durchlaufen an einem Trainingstag im Rotationsprinzip bis zu sechs Stationen à 50 Minuten. Die Stationen werden von Peertutor·innen (PT) im Peer-Teaching-Format [1] betreut. Regulär befinden sich 25-30 ST, fünf bis zehn PT, ein bis zwei Schauspielpersonen (SP) sowie die Mitarbeiter·innen des MITZ (MA) vor Ort. Nach Bekanntgabe der Eindämmungsbestimmungen zu COVID-19 haben die MA unterschiedliche Konzepte auf ihre Durchführbarkeit, ihren potentiellen Lernerfolg und die Einhaltung der allgemeingültigen Hygienemaßnahmen und gesetzlichen Verordnungen [2], [3] überprüft, um praktische Lehre im Sommersemester 2020 anbieten zu können. Als Pilotprojekt wurde ein Coronakonzept mithilfe des Lehrformats Inverted Classroom (auch Flipped Classroom - ICM) erarbeitet. Bei der gewählten Unterrichtsmethode erarbeiten sich die ST in einer digitalen Vorbereitungsphase Kenntnisse, die während der Präsenzveranstaltung angewendet werden [4], [5]. Dabei werden verschiedene Varianten des E-Learnings genutzt [6]. In diesem Beitrag werden die nötigen Anpassungen für den Lehrbetrieb vorgestellt und deren Durchführbarkeit sowie ausgewählte Auswertungsergebnisse des Probedurchlaufs diskutiert.
Tabelle 1: Übersicht aller Trainingsstationen im MITZ
2. Projektbeschreibung
Anhand der Vorgaben des Landes Sachsen [2], [3], der TU Dresden und des Krisenstabs des Universitätsklinikums Dresden wurde ein Sicherheitskonzept (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) entwickelt. Die Reduktion der Präsenzzeiten und die digitale Lehre sollten das Infektionsrisiko minimieren und so Trainings weiterhin ermöglichen. Das Lernszenario ICM wurde gewählt, um bestehende Ressourcen des MITZ aufzugreifen, die Onlinelehre motivierend zu gestalten und die Anwesenheitszeit gezielt für praktische Übungen zu nutzen. In Anlehnung an die reguläre Lehre wurde ein verkürztes Rotationsprinzip etabliert (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).
Abbildung 1: Verkürzung des Rotationsprinzips am Beispiel eines Fachsemesters
Im MITZ besteht das ICM aus den Teilbereichen Präsenzlehre und obligatorisches E-Learning mit drei Modulen (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Dabei bereiten die ST Lerninhalte im Lernmanagementsystem Moodle [7], [https://docs.moodle.org/39/de/Was_ist_Moodle] vor und wenden diese während der Präsenzlehrveranstaltung an [8]. Das seit 2015 bestehende Online-Lernangebot MITZ-mobil [9], [https://elearning.med.tu-dresden.de/mitz-mobil/] wurde in Moodle integriert. Die Lerninhalte wurden mit abwechslungsreichen Visualisierungen und interaktiven Übungen abgefragt. Informationen über das ICM erhielten die ST über die seit 2006 etablierte Plattform ePortal [10].
Abbildung 2: Aufbau des vorbereitenden E-Learnings im Lernmanagementsystem Moodle
Tabelle 2 [Tab. 2] vergleicht die reguläre Lehre mit der Notbetriebslehre und verdeutlicht die vorgenommenen Anpassungen.
Tabelle 2: Vergleich von regulärer Lehre und Lehre im Notbetrieb im MITZ
Zur Auswertung der Notbetriebslehre wurden die Perspektiven der MA und der ST erfasst. In zehn ca. 20-minütigen Einzelgesprächen mit den MA erfragte eine ärztliche MA in einer explorativen Erhebung positive, negative und verbesserungswürdige Aspekte. Die ST evaluierten das angepasste Lehrformat mit einem auf EvaSys [https://www.electricpaper.de/] basierenden Online-Fragebogen. Ausgewählte Items des Fragebogens (siehe Anhang 2 [Anh. 2]) und die Gesprächsergebnisse werden nachfolgend ausgewertet.
3. Ergebnisse
Die Notbetriebslehre im MITZ fand vom 04.05.-09.07.2020 für 1012 ST statt. Die explorative Auswertung der Gespräche mit den MA ergab, dass keine größeren Probleme auftraten. Alle in Tabelle 2 [Tab. 2] aufgeführten Anpassungen konnten umgesetzt werden. Für jeden Trainingstermin stand mindestens ein Ausweichtermin zur Verfügung. In der ersten Präsenzlehrwoche musste wegen eines positiv auf COVID-19 getesteten ST ein Ausweichtermin genutzt werden. Einmal waren keine PT eingeladen, weshalb die Stationen kurzfristig durch MA betreut werden mussten. Die nötige Erhöhung der Anzahl der Trainings hat zu einem gesteigerten Organisations- und die Vorbereitung des ICM zu einem gesteigerten Arbeitsaufwand geführt. In wenigen Fällen wurden die Checkboxen in Moodle den MA beim Überprüfen (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]) fehlerhaft angezeigt, erneutes Login behob die Störung. Die einzelnen ST, die das E-Learning nicht vorbereitet hatten, haben vor Ort am bereitgestellten Tabletcomputer die Belehrungen absolviert. Bei der Durchführung der vorbereitenden E-Learning-Einheiten traten kaum Probleme auf. Aufgrund einer falschen Zeitangabe musste eine ST-Gruppe erneut kommen. Anfahrtswege zwischen Live-Onlineveranstaltung am Wohnort und MITZ-Präsenztermin waren in Einzelfällen unzureichend berücksichtigt. Anhand der Fragebogenauswertung lässt sich eine positive Gesamtbewertung des Pilotdurchlaufs und des Lernprozesses durch die ST feststellen (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]).
Tabelle 3: Evaluation des MITZ-Trainings im Sommersemester 2020
4. Diskussion
Die Pilotierung der Notbetriebslehre war erfolgreich. Der Verlauf des Sommersemesters 2020 und die Ergebnisse der Evaluation zeigen, dass die Anpassungen im Lehrbetrieb umsetzbar waren und die ST das ICM sehr gut angenommen haben.
Hygiene
Das Konzept hat sowohl Präsenzlehre als auch die Unterbrechung und Nachverfolgung von Infektionsketten ermöglicht. Die Ergebnisse lassen allerdings keine Rückschlüsse zu, ob das Konzept steigenden Infektionszahlen standhalten würde.
Ressourcen
Die erfolgreiche Durchführung der Notbetriebslehre beruht auf der Nutzung einrichtungsspezifischer Ressourcen (PT-Einsatz, Rotationsprinzip, Ausbau MITZ-mobil, Struktur in Moodle aufgebaut wie Trainingszyklen) und deren Anpassung an neue Gegebenheiten. Die MA konnten den zusätzlichen Aufwand durch die digitale Lehre kompensieren, weil viele Lehrprojekte im Notbetrieb limitiert wurden.
Stundenplanung
Wegen der umfassenden Ablaufänderungen in der gesamten Fakultät, sollte der Einsatzplan der PT und der Stundenplan der ST mehrfach im laufenden Semester im Vier-Augen-Prinzip geprüft werden. Institutsübergreifend müssen Wegezeiten zwischen Präsenz- und Live-Onlineveranstaltungen, die wahrscheinlich am Wohnort absolviert werden, stärker berücksichtigt werden.
Didaktisches Konzept
Das ICM konnte erfolgreich pilotiert werden. Der Großteil der ST empfand die Bereitstellung von Informationen über Moodle als ausreichend und sah keine technischen Probleme. Das ICM bedarf kontinuierlicher und mit hohem Aufwand einzuplanender Betreuung und Weiterentwicklung durch die MA. Bei der Konzeptanpassung sollte darauf geachtet werden, bei den in Moodle aufgeführten Lernzielen nach digitaler Lehre und Präsenzlehre zu differenzieren und das neue digitale Lernangebot in der (Nach-)Schulung der PT aufzugreifen [5]. Die Gespräche zur Auswertung konnten nur explorativen Charakter haben. Für detailliertere Informationen wäre eine qualitative Forschungsarbeit nötig, zum Beispiel durch eine systematische Analyse der freien Kommentare der ST oder die Durchführung von strukturierten Gruppeninterviews mit den PT. Die Lehre sollte anschließend gemeinsam mit den PT weiterentwickelt werden.
5. Fazit
Im erneuten oder fortzusetzenden Notbetrieb kann das MITZ das Corona-Konzept mit minimalen Anpassungen wieder nutzen. Zudem wird das ICM für die reguläre Lehre als fester Bestandteil etabliert und fortlaufend weiterentwickelt. Die Erkenntnisse können für andere Skills Labs zur Erarbeitung von Konzepten für die Notbetriebslehre von Interesse sein, um die standortindividuellen Ressourcen effizient zu nutzen.
Anmerkung
Geteilte Erstautorenschaft: Röhle A. und Horneff H.
Interessenkonflikt
Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
[1] Alvarez S, Dethleffsen K, Esper T, Horneffer A, Reschke K, Schultz JH. An overview of peer tutor training strategies at German medical schools. Z Evid Fortbild Quali Gesundhswes. 2017;126:77-83. DOI: 10.1016/j.zefq.2017.09.009[2] Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhang. Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19: Sächsische Corona-Schutz-Verordnung - SächsCoronaSchVO. Dresden: Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhang; 2020. p.186-189.
[3] Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhang. Allgemeinverfügung Vollzug des Infektionsschutzgesetzes Maßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie Anordnung von Hygieneauflagen zur Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus. Dresden: Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhang; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.coronavirus.sachsen.de/download/SMS-Allgemeinverfuegung-Hygiene-2020-04-17.pdf
[4] Handke J, Schäfer AM. E-Learning, E-Teaching und E-Assessment in der Hochschullehre: Eine Anleitung. München: Oldenbourg; 2012. DOI: 10.1524/9783486716849
[5] Hege I, Tolks D, Adler M, Härtl A. Blended learning: ten tips on how to implement it into a curriculum in healthcare education. GMS J Med Educ. 2020;37(5):Doc45. DOI: 10.3205/zma001338
[6] Arnold P, Kilian L, Thillosen AM, Zimmer GM. Handbuch E-Learning: Lehren und Lernen mit digitalen Medien. 5. Auflage. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag; 2018.
[7] Muhsen ZF, Maaita A, Odah A, Nsour A. Moodle and e-learning Tools. IJMECS. 2013;5(6):1-8. DOI: 10.5815/ijmecs.2013.06.01
[8] Eaton M. The flipped classroom. Clin Teach. 2017;14(4):301-302.
[9] Weber T. MITZ-mobil - Zeitgemäßes Lernen an der medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus in Dresden: Zeitgemäßes Lernen an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus (Dresden). In: Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA). Bern, 14.-17.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocDE25-616 . DOI: 10.3205/16gma265
[10] Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus. ePortal 3.0. Dresden: Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus; 2020. Zugänglich unter/available from: https://eportal.med.tu-dresden.de/acl_users/credentials_cookie_auth/require_login?came_from=https%3A//eportal.med.tu-dresden.de/
Anhänge
Anhang 1 | Sicherheitskonzept des MITZ (Anhang_1.pdf, application/pdf, 677.14 KBytes) |
Anhang 2 | Evasys-Fragebogen Studierendenevaluation (Anhang_2.pdf, application/pdf, 236.69 KBytes) |