[Basisfertigkeiten der Reanimation von Medizinstudierenden – eine monozentrische randomisierte Simulationsstudie]
Cara Bülow 1Stella-Karolin Krispin 1
Franziska Lehmanski 1
Grit Spalding 2,3
Anja Haase-Fielitz 3,4,5
Christian Butter 3,4
Jonathan Nübel 3,4
1 Medizinische Hochschule Brandenburg (MHB), Neuruppin, Deutschland
2 Immanuel Klinikum Bernau, Herzzentrum Brandenburg, Zentrale Notaufnahme, Bernau bei Berlin, Deutschland
3 Medizinische Hochschule Brandenburg (MHB), Hochschulklinikum, Neuruppin, Deutschland
4 Immanuel Klinikum Bernau, Herzzentrum Brandenburg, Abteilung für Kardiologie, Bernau bei Berlin, Deutschland
5 Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Magdeburg, Deutschland
Zusammenfassung
Zielsetzung: Ziel der Untersuchung war die Analyse der Reanimationskompetenz definiert als Indikationserkennung und Durchführung des Basic Life Support (BLS) von Studierenden des Brandenburger Modellstudiengangs Medizin (BMM).
Methodik: Die teilnehmenden Studierenden (n=102) wurden zu unterschiedlichen Simulationsszenarien randomisiert: bewusstlose Person mit physiologischer Atmung (15/min), Schnappatmung (<10/min) und Apnoe (Reanimationsdummy AmbuMan® Wireless mit elektronischer Aufzeichnung). Primärer Endpunkt war der Anteil an Studierenden mit korrekter Entscheidung für oder gegen eine Reanimation. Sekundärer Endpunkt war die Reanimationsgüte, Selbsteinschätzung und Reanimationsvorerfahrung. Letztere beiden wurden vor Studienbeginn durch einen Fragebogen erfasst.
Ergebnisse: Insgesamt bestand ein hohes Risiko für eine falsch unterlassene oder fälschlicherweise durchgeführte Reanimation (OR 3,4 [95% KI 1,4-8,1] p=0,005. Die größte Irrtumswahrscheinlichkeit ergab sich bei Bewußtlosigkeit und Schnappatmung. 22,3% aller indizierten und durchgeführten Reanimationen erreichten die vom European Resuscitation Council empfohlene Kompressionsfrequenz, Drucktiefe sowie 90% Kompressionsentlastung. Eine besonders große Diskrepanz ergab sich zwischen der Selbsteinschätzung der Teilnehmenden, durch die universitäre Lehre auf eine Reanimationssituation vorbereitet zu sein und ihrer tatsächlich dokumentierten Reanimationskompetenz.
Schlussfolgerung: Die vorliegenden Daten weisen auf deutliche Unsicherheit der Studierenden beim Erkennen einer Reanimationssituation hin. Selbst in Curricula mit hohem Praxisanteil und hohem Grad an Studierenden mit medizinischer Berufsausbildung ist die Reanimationskompetenz mangelhaft.
Schlüsselwörter
Reanimation, Reanimationskompetenz, Medizinstudierende, Modellstudiengang
Einleitung
Bei einem Herzkreislaufstillstand hängt die Erhaltung der physischen und kognitiven Funktionen der Betroffenen von der frühen und korrekten Einschätzung der Situation und der qualitativ hochwertigen Herzdruckmassage ab [1], [2], [3]. Beides ist für Laien oft schwierig [4], [5], [6]. Als kompetenzorientiertes Lernziel für das Medizinstudium greift das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) diese Fertigkeit auf. Medizinstudierende sollten „den Basic-Life-Support-Algorithmus erläutern und anwenden (VII.4-03.2.1)“ [http://www.nklm.de] können.
Zwar scheinen Medizinstudierende zum Abschluss ihres Studiums solide theoretische Kenntnisse über eine korrekt durchgeführte Reanimation aufzuweisen [7], jedoch sind auch sie oft nicht in der Lage, zwischen suffizienter und insuffizienter Atmung sicher zu unterscheiden [8].
Die vorliegende Studie untersucht, ob Medizinstudierenden im BMM eine sichere Indikationsstellung und leitlinienkonforme Herzdruckmassage zum Zeitpunkt vor und nach dem ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung gelingt.
Methoden
In einer randomisierten Studie wurden Studierende innerhalb der teilnehmenden Semester zu unterschiedlichen Simulationsszenarien randomisiert (randomizer.org): bewusstlose Person mit physiologischer Atmung (15/min), Schnappatmung (<10/min) oder Apnoe (Reanimationsdummy AmbuMan® Wireless mit elektronischer Aufzeichnung). Zudem wurden biographische Daten, Vorerfahrung und Selbsteinschätzung aller Teilnehmenden erfasst. Primärer Endpunkt war der Anteil an Studierenden mit korrekter Entscheidung für oder gegen eine Reanimation im Rahmen einer simulierten Reanimationssituation. Sekundärer Endpunkt war die Qualität der durchgeführten „compression only CPR“. Die Reanimationsqualität wurde gemäß der vom European Resuscitation Council empfohlenen Kompressionsfrequenz, Drucktiefe, Dauer sowie Kompressionsentlastung beurteilt. Für die Auswertung wurde eine Reanimation als qualitativ hochwertig definiert, wenn bei korrekter Indikation reanimiert und empfohlene Mittelwerte in Frequenz und Kompressionstiefe erreicht wurden und über 90% der Kompressionen am richtigen Druckpunkt und adäquat entlastet waren. Konkrete Handlungsanweisungen und auch die jeweilige Gruppenzuteilung waren den Teilnehmenden im Vorhinein nicht bekannt. Die Teilnahme an der extracurricularen Datenerhebung war freiwillig. Studierende des 1. Semesters hatten einen einwöchigen curricularen Notfallkurs absolviert, Studierende des 6. Semesters einen weiteren zweiwöchigen Kurs [9]. In Abbildung 1 [Abb. 1] ist der Fragebogen zur Selbsteinschätzung verfügbar. Ein positives Ethikvotum der Medizinischen Hochschule Brandenburg liegt unter dem Aktenzeichen E-01-20180724 vor. Für die statistische Analyse der erhobenen Daten wurde die Statistiksoftware SPSS Version 25 (IBM) genutzt.
Abbildung 1: Fragebogen zur Selbsteinschätzung
Ergebnisse
In die randomisierte Studie wurden n=102 Medizinstudierende (davon n=63 Frauen, n=31 im 1. Semester, n=71 im 6. Semester) eingeschlossen (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Eine abgeschlossene medizinische Ausbildung wiesen 69 Studierende auf. 59 Medizinstudierende gaben an, mindestens eine Reanimation in der Realität durchgeführt zu haben. Bezüglich der Reanimations-Charakteristika bestanden zwischen den drei Gruppen keine statistisch signifikanten Unterschiede (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Insgesamt bestand ein hohes Risiko für eine falsch unterlassene oder fälschlicherweise durchgeführte Reanimation (OR 3,4 (95% KI 1,4-8,1) p=0,005 (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]).
Tabelle 2: Reanimations-Charakteristika
Tabelle 3: Indikationsstellung zur Reanimation
Die größte Irrtumswahrscheinlichkeit ergab sich bei Bewußtlosigkeit und Schnappatmung (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Bei simulierter physiologischer Atmung haben 48,5% der Studierenden eine Reanimation eingeleitet, obwohl keine Reanimationsindikation vorlag. Bei Schnappatmung wurde trotz vorhandener Indikation lediglich von 52,9% der Studierenden eine Reanimiation eingeleitet. In der Apnoe-Situation haben 2 Studierende eine Reanimation unterlassen. 15,3% (6. Semester n=11, 1. Semester, n=4) der Studierenden erreichten eine qualitativ hochwertige Reanimation. Die Richtigkeit der Entscheidung zur Reanimation außer Acht lassend, erreichten 55% der Studierenden eine leitliniengerechte Kompressionsfrequenz, 60% eine entsprechende Kompressionstiefe und 71% die =90% Kompressionsentlastung.
Abbildung 2: Anzahl der Medizinstudierenden pro Gruppe.
Von 102 teilnehmenden Studierenden wurden n=33 zur Gruppe „Physiologische Atmung“, n=34 zur Gruppe „Schnappatmung“ und n=35 zur Gruppe „Apnoe“ randomisiert. Der Anteil der Studierenden, die sich für eine Reanimation (schwarzer Balken) oder gegen eine Reanimation (grauer Balken) entschieden, ist separat dargestellt.
Von den Teilnehmenden, die ihre Kompetenzen als „recht gut“ oder besser einschätzten, überschätzten 31,6% ihre Kompetenzen eine Reanimationssituation richtig zu erkennen und handelten nicht ihrer Situation entsprechend.
Diskussion
Die vorliegenden Daten weisen auf eine deutliche Unsicherheit der Studierenden beim richtigen Erkennen einer Reanimationssituation hin. Ebenso wie in anderen Studien berichtet, fiel es besonders schwer Atemmuster zu differenzieren [4], [8], [10], [11], [12]. Das sichere Erkennen von „nicht normaler Atmung“ ist besonders wichtig, da eine Schnappatmung in rund 40% aller Herz-Kreislaufstillstände vorliegt [13]. Im Zweifel lieber eine Herzdruckmassage durchzuführen statt keiner, ist grundsätzlich zu begrüßen. Dennoch sollte sich die Indikation aus nachvollziehbaren Kriterien und auf Grundlage der Empfehlungen der Fachgesellschaften ergeben. Obschon die Selbsteinschätzung der Studierenden auf eine Reanimationssituation vorbereitet zu sein besser scheint als im europaweiten Vergleich [8], besteht eine besonders große Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung der hier Teilnehmenden und ihrer dokumentierten Reanimationskompetenz. Diese kognitive Verzerrung könnte auf Unwissenheit über eigene Inkompetenz (Kruger-Dunning-Effekt) basieren [14]. Eine Verstärkung durch vermeintliche, aber nicht ausreichende Erfahrung (Berufsausbildung, Praxisnähe) ist denkbar [15]. Der Einsatz technischer Feedbacksysteme zur Kompressionsqualität ist dem Standard Training überlegen [16] und könnte auch dazu führen, eigene Kompetenzen besser zu reflektieren. Positive Effekte eines gezielten Trainings auf die korrekte Entscheidung zur Reanimation wurden berichtet [11] und sollten auf Grundlage der vorliegenden Daten in Reanimationstrainings adressiert werden. Medizinstudierende anderer Fakultäten könnten bei einem vermutlich geringeren Anteil mit abgeschlossener medizinischer Ausbildung eine bestenfalls ähnliche praktische Reanimationskompetenz aufweisen als hier gezeigt. Ob Studierende ihre Reanimationskompetenz nachweisen sollten, das Kurskonzept oder Prüfungen umgestellt werden müssen, sollte in multizentrischen, fakultätsübergreifenden Studien überprüft werden. Es sei angemerkt, dass der 90% Grenzwert für eine Thorax Entlastung aus der Überlegung resultierte, dass laut ERC Leitlinie bereits eine nicht korrekt entlastete Thoraxkompression die Definition für eine qualitativ-nicht-hochwertige Reanimation erfüllt hätte. In der abschließenden Bewertung der Studienergebnisse ist die Limitation jeder Simulationsstudie zu berücksichtigen, die die Realität nur bedingt abbildet, jedoch die Wichtigkeit einer praktischen Analyse von Reanimationskompetenzen unterstreicht [17].
Autor*innenschaft
Geteilte Autor*innenschaft: Jonathan Nübel und PD Dr. Anja Haase-Fielitz
Interessenkonflikt
Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
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