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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017_N


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Leitartikel
Lessons learned

[Was heißt hier „Lessons learned“? Medizindidaktische Forschungsdefizite vor der Post-COVID-Ära. Ein Aufruf!]

 Christoph Stosch 1
 Kai P. Schnabel 2

1 Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Köln, Deutschland
2 Universität Bern, Institut für Medizinische Lehre, AUM, Bern, Schweiz




Leitartikel

Beim Versuch die sich mit Medizindidaktik in Zeiten der COVID-19-Pandemie publizierten Artikel in der JME seit Beginn der Pandemie überblickend einzusortieren (Hinweis auf die COVID-19-Pandemie im Titel (Jg. 2020 und 2021) bzw. aufgenommen in die beiden Sonderhefte 07/2020 und 01/2021), finden wir mit kurzer Recherche 84 Artikel. Fünf davon als Editorial, 56 Beiträge beschäftigen sich im Weitesten mit der Digitalisierung des Unterrichts (Vorlesungen und Seminare, Kurse und Skillstrainings, Simulationspersonen bzw. reale Patient*innen, Weiterbildung, Auswahlverfahren, usw.), 15 mit curricularen Umstellungen oder abgewandelter Lehrorganisation (Unterstützung der Digitalisierung durch Hilfskräfte etwa) und 8 Artikel mit sonstigen Themen. Dabei sind die Artikel zumeist „Best-Practice-Beispiele“, meist nur mit Akzeptanzuntersuchungen. Nur 5 Artikel von diesen beschäftigen sich im Weiteren mit den Auswirkungen der Unterrichtsumstellung in der COVID-19-Pandemie auf die Ausbildung, den Outcome der Studierenden [1], [2], [3], [4], [5].

Dabei haben wir möglichweise alle unsere Befürchtungen, ein Bauchgefühl oder auch eine leise Ahnung, dass die erzwungene Digitalisierung weiter Teile des Studiums nicht ohne Wirkung auf die (Selbst-)Erziehung bzw. professionelle Transformation in den Gesundheitsberufen sein kann: „Die meisten Dozierenden möchten auch nach der Pandemie digitaler unterrichten, fürchten jedoch Einbußen in der Lernwirksamkeit und im Kontakt zu den Studierenden (...).“ [6] konkludieren beispielsweise Speidel et al. in der letzten, digitalen Ausgabe des JME. Oder zeigt sich in den Befürchtungen nur eine neue Spielart strukturkonservativer Veränderungskritik, die grundlos an Bekanntem festhält, was auch immer das sei, oder unpolemischer, wie auch immer der evidenzgesicherte Status quo das Studium betreffend zu beschreiben wäre? Anders herum argumentiert: Gesetzt den Fall, wir fänden keine nachweisbaren Änderungen im Lernverhalten, bei Wissensbeständen, den ärztlichen Einstellungen oder etwa bei der Ausübung von Fertigkeiten oder Kompetenzen. Wäre es dann zulässig, die (digitalen) Ersatzangebote als offensichtlich ausreichend zu bezeichnen und zur Tagesordnung überzugehen? Oder werden wir damit zu Totengräbern eines patientenzentrierten Unterrichts, der allenthalben aufwändig orchestriert wird aber eben effektlos ist?

Genau so könnte es sein, folgt man Haase-Fielitz et al. in dieser Ausgabe des JME [7], die dem praktischen Unterricht in der Reanimationskompetenz – allerdings in einer monozentrischen Studie – eine mangelhaftes Zeugnis ausstellen. Auch Wissen, Einstellungen und Verhalten zu Impfmedizin bei medizinischen Auszubildenden in Gesundheitsberufen lassen Luft nach oben vermuten [8] während Kruse et al. [9] und Schlegel et al. [10] mit „Deaf awareness“ und „Onomatopoeia“ zwei Themen beleuchten, welche in der Vermittlung der Kommunikationsfertigkeiten aus Sicht der Autor*innen nicht oder nicht ausreichend vermittelt werden.

Während Boehme et al. [11] in einer bundesweiten Umfrage die Vorbereitung und den -nicht unproblematischen- Umsetzungsstand zur Digitalisierung insgesamt beschreiben, stellen Simmenroth et al. [12] ein konkretes, semidigitales Lehrszenario zu „Alkohol und Raucherberatung“ vor. López Dávila et al. [13] beschreiben die landesweite Qualitätssorge bei der Anerkennung von im Ausland erbrachten Medizinabschlüssen in Costa Rica und Pentzek et al. [14] untersuchen die Qualitätsentwicklung allgemeinmedizinischer Praktika durch kollegiales Feedback. Nikendei et al. beschreiben [15] kompensatorische Wirkungen freiwilliger Einsätze zur Unterstützung COVID-19-Patient*innen durch Studierende auf beispielsweise die „professionelle Identifikation“ während der Unterricht am Krankenbett nicht stattfand und Rohr et al. beschreiben in ihrem Artikel [16] die positive Einstellung zu fakultativen Unterrichtsanteilen, hier zu visionären Wahlcurricula.

Lautet nun also und im Besonderen mit Bezug zu den beiden letztgenannten Artikeln die Frage: Werden unsere Studierenden also wegen oder trotz unseres Curriculums gute Mitarbeitende im Gesundheitswesen? Dieses im Angesicht der geänderten Curricula rund um die COVID-19-Pandemie als digitalem Großversuch zu untersuchen, scheint bei aller Einschränkung von retrospektiven Kohortenstudien und anderer Methoden das Gebot der Stunde. Valide, objektive und reliable Messungen der Outcomes sind zudem dringend notwendig, wenn dies auch, wie wir alle wissen, während der Pandemie nicht möglich war. Jetzt sollten wir uns die Zeit nehmen, Outcomes mit angemessenen Methoden zu messen, die über eine reine Zufriedenheitsmessung der Teilnehmenden – ohne diese als notwendige Voraussetzung guten Unterrichts kleinreden zu wollen (!) – hinaus gehen. Wie können wir in der Übergangsphase inmitten des starken Wunsches zur Rückkehr zum Präsenzunterricht das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und in der Pandemie eingeführte Onlineformate in angemessenem Umfang mit Präsenzformaten untersuchen? Wie kann bei gleicher Effektivität die Effizienz gesteigert werden? Können wir innerhalb der Kohorten randomisierte Crossover-Studien initiieren und Teile online oder in Präsenz anbieten?

Solide Ausbildungsforschung ist hier gefragt und notwendiger den je!

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

[1] Seifert T, Becker T, Büttcher AF, Herwig N, Raupach T. Restructuring the clinical curriculum at University Medical Center Göttingen: effects of distance teaching on students' satisfaction and learning outcome. GMS J Med Educ. 2021;38(1):Doc1. DOI: 10.3205/zma001397
[2] Zottmann JM, Horrer A, Chouchane A, Huber J, Heuser S, Iwaki L, Kowalski C, Gartmeier M, Berberat PO, Fischer MR, Weidenbusch M. Isn't here just there without a "t" - to what extent can digital Clinical Case Discussions compensate for the absence of face-to-face teaching? GMS J Med Educ. 2020;37(7):Doc99. DOI: 10.3205/zma001392
[3] Wicht MJ, Höfer K, Derman SH, Noack MJ, Barbe AG. Retrospective investigation of organization and examination results of the state examination in restorative dentistry, endodontology and periodontology under simulated conditions in times of Covid-19 compared to standard conditions when treating patients. GMS J Med Educ. 2020;37(7):Doc87. DOI: 10.3205/zma001380
[4] Polujanski S, Schindler AK, Rotthoff T. Academic-associated emotions before and during the COVID-19-related online semester - a longitudinal investigation of first-year medical students. GMS J Med Educ. 2020;37(7):Doc77. DOI: 10.3205/zma001370
[5] Guse J, Heinen I, Kurre J, Mohr S, Bergelt C. Perception of the study situation and mental burden during the COVID-19 pandemic among undergraduate medical students with and without mentoring. GMS J Med Educ. 2020;37(7):Doc72. DOI: 10.3205/zma001365
[6] Speidel R, Schneider A, Körner J, Grab-Kroll C, Öchsner W. Did video kill the XR star? Digital trends in medical education before and after the COVID-19 outbreak from the perspective of students and lecturers from the faculty of medicine at the University of Ulm. GMS J Med Educ. 2021;38(6):Doc101. DOI: 10.3205/zma001497
[7] Bülow C, Krispin SK, Lehmanski F, Spalding G, Haase-Fielitz A, Butter C, Nübel J. Basic resuscitation skills of medical students - a monocenter randomized simulation. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc116. DOI: 10.3205/zma001512
[8] Berg T, Wicker S. Knowledge, attitude and behavior towards vaccinations among nursing- and health care students in Hesse. An observational study. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc115. DOI: 10.3205/zma001511
[9] Kruse J, Zimmerman A, Fuchs M, Rotzoll D. Deaf awareness workshop for medical students - an evaluation. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc118. DOI: 10.3205/zma001514
[10] Schlegel C, Smith C, Keiko A, Kneebone R. Onomatopoeia - listening to the sounds behind the words. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc123. DOI: 10.3205/zma001519
[11] Neumann M, Fehring L, Kinscher K, Truebel H, Dahlhausen F, Ehlers J, Mondritzki T, Boehme P. Perspective of German medical faculties on digitization in the healthcare sector and its influence on the curriculum. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc124. DOI: 10.3205/zma001520
[12] Simmenroth A, Tiedemann E. Teaching alcohol and smoking counselling in times of COVID-19 to 6th-semester medical students: experiences with a digital-only and a blended learning teaching approach using role-play and feedback. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc117. DOI: 10.3205/zma001513
[13] Sánchez LS, Cordero Solis JJ, López Dávila AJ. The process for recognizing foreign medical degrees in Costa Rica: a statistical survey of the past 15 years. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc121. DOI: 10.3205/zma001517
[14] Pentzek M, Wilm S, Gummersbach E. Does peer feedback for teaching GPs improve student evaluation of general practice attachments? A pre-post analysis. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc122. DOI: 10.3205/zma001518
[15] Nikendei C, Dinger-Ehrenthal U, Schumacher F, Bugaj TJ, Cranz A, Friederich HC, Herpertz SC, Terhoeven V. Medical students' mental burden and experiences of voluntary work in COVID-19 patient support and treatment services: a qualitative analysis. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc120. DOI: 10.3205/zma001516
[16] Rohr SO, Gerhard A, Schmidt F, Eder JU, Salvermoser L, Dimitriadis K, Fischer MR. Thinking outside the box: students positive about visionary elective curricula in medical school. GMS J Med Educ. 2021;38(7):Doc119. DOI: 10.3205/zma001515