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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017_N


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Artikel
Digitale Tutorien

[How to… train your skills goes digital! Ein Projektbericht über die Entwicklung und Umsetzung praxisorientierter digitaler studentischer Tutorien]

Maria Heimbach 1
Katharina Holzmann 1
Philipp Stein 1
Lea Stief 1
Pascal O. Berberat 1
 Meike Dirmeier 1

1 Technische Universität München, Fakultät für Medizin – Klinikum rechts der Isar, TUM Medical Education Center (TUM MEC), Lehrstuhl für Medizindidaktik, medizinische Lehrentwicklung und Bildungsforschung, München, Deutschland

Zusammenfassung

Zielsetzung: Der vorliegende Projektbericht beschreibt die Entwicklung und Umsetzung digitaler Tutorien („How to... train your skills goes digital!“) durch studentische Tutor*innen (TUT) auf Grundlage bereits etablierter Präsenztutorien, sowie die anschließende Verschränkung beider Konzepte. Das Ziel der TUT war es hier, den Mitstudierenden in einer Phase der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen und der intensivierten Hygieneauflagen dennoch die Möglichkeit zu geben, klinisch-praktische Fertigkeiten zu trainieren und zu reflektieren.

Methodik: In einem gemeinsamen Prozess wurden zunächst die Lerngegenstände der Präsenztutorien von den TUT analysiert, um inhaltlich kongruente digitale Tutorien konzipieren zu können, ohne dabei völlig auf den praktischen Aspekt verzichten zu müssen. Zur Vermittlung der theoretischen Kenntnisse wurde das Learning Management System Moodle als geeignetes Instrument identifiziert. Die praktischen Übungen erfolgen innerhalb der Umsetzung der digitalen Tutorien während virtueller Meetings. Hierfür erstellen die Teilnehmenden (TN) nach einer über Moodle bereitgestellten Anleitung selbst Modelle im Sinne einer Home Skills Station. Die Akzeptanz wurde mittels Fragebogen systematisch erfasst.

Ergebnisse: Die digitalen Tutorien werden bisher von den TN (n=64) gut angenommen. So zeigt ihre Evaluation (Rücklauf: 37,5%) durchweg positive Ergebnisse. Es werden sowohl die Kursdurchführung als auch der eigene Lernfortschritt durch die TN als gut bis sehr gut bewertet. Nichtsdestotrotz fühlen sich die TN auf die selbstständige Durchführung der jeweiligen Tätigkeiten noch nicht optimal vorbereitet.

Im Wintersemester 2020/21 wurden auch die Präsenztutorien unter einer Verschränkung wieder eingeführt. Die starke Nachfrage nach diesen lässt möglicherweise auf die Präferenz der TN schließen, an den Modellen des Simulationszentrums zu üben.

Schlussfolgerung: Die systematische Verschränkung von Digital und Präsenz im Sinne des Flipped Classroom Konzeptes erscheint langfristig sinnvoll. Die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit im Vergleich mit der reinen Präsenz müsste weiter untersucht werden.


Schlüsselwörter

medizinische Ausbildung, Digitalisierung, Medizinstudenten, Peer-Assisted-Learning, modellbasiertes Lernen, praktische Kompetenz, Inverted Classroom Model, COVID-19, Peerteaching

Einleitung

„How to… train your skills!“ ist ein Programm des Medical Education Center (MEC) der Technischen Universität München (TUM) zum Training klinisch-praktischer Fertigkeiten von und mit Peertutor*innen (TUT) [1], [2], [3], welches im Wintersemester 2019/20 im Medical Training Center (MTC) etabliert wurde. Da im MTC bislang überwiegend curriculare Kurse mit ärztlichen Dozierenden zum Team- und Skilltraining stattfinden, ist dieses fakultative Programm eine Besonderheit, welches auf Wunsch der Studierenden von den TUT selbst entwickelt und umgesetzt wurde.

Aufgrund der vorläufigen Ausgangsbeschränkung [4] und den damit einhergehenden Restriktionen anlässlich der Corona-Pandemie [5] konnte „How to… train your skills!“ im Sommersemester 2020 nicht durchgeführt werden. Die Idee der TUT, welche u.a. Autor*innen des vorliegenden Projektberichts sind, war es, mit Hilfe von „How to… train your skills goes digital!“ gerade in dieser Phase der gefühlten Passivität und sozialen Distanzierung ihren Kommiliton*innen eine funktionale Trainingsmöglichkeit für klinisch-praktische Fertigkeiten zu bieten, die gleichzeitig einen lebendigen und motivierenden Austausch untereinander fördert [6], [7]. Ob dieses Ziel erreicht wurde, soll im Folgenden kritisch hinterfragt werden.

Konzept und Entwicklung

Eine besondere Herausforderung lag in der Konzipierung einer Methode zur Vermittlung praktischer Fertigkeiten, ohne auf die Infrastruktur des MTC mit Simulatoren und Modellen sowie die physische Anwesenheit von Lehrenden und Lernenden zurückgreifen zu können [8]. Zu Beginn der Entwicklung stand sowohl eine Analyse der Lerngegenstände der bereits etablierten Tutorien im Fokus als auch die Suche nach einer geeigneten Austauschplattform, über die Lerninhalte transportiert und deren korrekte Umsetzung sichergestellt werden können.

In der Folge wurden vier Themen ausgewählt und zu digitalen Tutorien weiterentwickelt: „Anlage eines Blasenkatheters“, „Anlage einer peripheren Venenverweilkanüle“, „Auswerten eines Elektrokardiogramms“ und „Üben chirurgischer Naht- und Knüpftechniken“. Bei der Didaktik bildete das Flipped Classroom Konzept [9] hier im Sinne von der gezielten Verknüpfung asynchronen und synchronen Inhalten für alle digitalen Tutorien eine gemeinsame Grundlage. Weiterhin wurden die Tutorien nach Peytons 4-Schritt-Methode gestaltet [10]: zunächst wurde in Videos die korrekte Anwendung demonstriert, anschließend erfolgte die Dekonstruktion (und Rekonstruktion) durch den Nachbau eines Modells. Wenn das Verständnis der TN gesichert war, folgte schließlich die Durchführung. Dabei wurde das Faktenwissen den TN im Vorfeld über teilweise selbst produzierte Inhalte (bspw. Videotutorials, Literatur, Quiz) auf dem Learning Management System Moodle vermittelt. Im Anschluss trafen sich die TN mit den TUT zum virtuellen Meeting, um offene Fragen zu klären und angeleitet zu üben. Das erfolgreiche Kleingruppen-Konzept mit bis zu acht TN [11] aus den Präsenztutorien wurde dabei beibehalten. Innerhalb des digitalen Formats erschufen die TN zu Hause einen Modellersatz, an dem sie mit zentral ausgegebenen Originalmaterialien trainierten. Die Möglichkeit Trainingsmodelle auszugeben, bestand wegen deren zu geringer Anzahl und aus Gründen der Hygiene nicht.

Konzeptbeispiel Tutorium „Anlage eines Blasenkatheters“

Im Präsenztutorium wurde die „Anlage eines Blasenkatheters“ an einem realitätsnahen Modell geübt. Der Fokus beim digitalen Tutorium lag zunächst auf dem durch den TUT innovierten und angeleiteten Nachbau von Harnröhre und Blase mittels handelsüblicher Gegenstände, um deren komplexe Anatomie nachzuempfinden (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Die Durchführung des Zusammenbaus wurde medial über verschiedene, vom TUT ebenfalls eigens konzipierte, Lernvideos unterstützt [10], welche über Moodle zur Verfügung gestellt wurden. Danach wurden innerhalb eines virtuellen Meetings unter Anleitung und Beobachtung durch den TUT einzelne Handlungsschritte der sterilen „Anlage eines Blasenkatheters“ geübt (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). So erhielten die TN direktes Feedback und konnten durch den TUT identifizierte Fehlerquellen zukünftig vermeiden.

Abbildung 1: Bauanleitung Katheter und Harnröhre

a) zeigt die benötigten Materialien für den Bau des Katheters und des Penisschafts zu Hause. Die Schläuche haben zwei unterschiedliche Durchmesser.

b) Der Katheter kann zu Hause mit einem Schlauch, einem Luftballon und Tesafilm nachgebaut werden. Um zu testen ob der Katheter dicht ist, wird er mit einer wassergefüllten Einmalspritze geblockt.

c) Für den simulierten Penisschaft wird der Schlauch (größerer Durchmesser als Katheter) mit einem Geschirrtuch umwickelt und dieses mit Tesafilm fixiert.

Abbildung 2: Katheterisieren des selbsterstellten Blasenkatheter-Modells durch einen TN

Durchführung

Nach Bekanntgabe des Lehrangebots über die fakultätsinterne Plattform mediTUM erfolgte die weitere Kommunikation direkt zwischen TN und TUT: die TN stellten per E-Mail persönlichen Kontakt her. Daraufhin wurden sie in den Moodlekurs eingebucht und konnten sich nach Vereinbarung eines Termins für das virtuelle Meeting an einer zentralen Stelle die Übungsmaterialien abholen.

Bislang wurden seit Juli 2020 digitale Tutorien an 23 Terminen durchgeführt, welche von 64 TN besucht wurden (M=2.8, Min 1, Max 7). Gerade die Tutorien mit nur 1 TN boten den TUT die Herausforderung zwei Rollen gleichzeitig einnehmen zu müssen, nämlich sowohl für den Austausch über die eigenen Erfahrungen zu sorgen als auch Kompetenzen zu vermitteln.

Akzeptanz

Alle durchgeführten Tutorien wurden mit Hilfe einer online durchgeführten, Fragebogen-basierten Evaluation (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]) in Hinblick auf ihre Qualität untersucht und optimiert. In den 24 ausgefüllten Fragebögen zeigte sich insgesamt eine durchweg positive Resonanz: auf der Skala von 1 („stimme überhaupt nicht zu“) bis 6 („stimme voll und ganz zu“) ergab sich im Mittel eine 5,2. Die TN bewerteten hier sowohl die Kursdurchführung als auch ihren eigenen Lernfortschritt als gut bis sehr gut, lediglich im Bereich der selbstständigen Durchführung der jeweiligen Tätigkeit an Patient*innen fühlten sich die TN nur mäßig gut vorbereitet. Aus den optionalen Freitextantworten ging eine klare Wertschätzung des Lehrangebots wie auch der Umsetzung durch die TUT hervor.

Tabelle 1: Evaluation der bisher durchgeführten digitalen Tutorien (n=24)

Weitere Entwicklung & Fazit

Ab dem Wintersemester 2020/21 können unter Einhaltung des Hygienekonzepts der Fakultät für Medizin des Klinikums rechts der Isar, siehe [https://www.tum.de/studium/lehre/downloads/], Präsenztutorien wieder stattfinden. Dabei steht langfristig, auch nach Ende der Pandemie, deren Verschränkung mit den digitalen Tutorien im Vordergrund der Überlegungen zur inhaltlichen Planung. So könnte der Moodlekurs im Sinne des Flipped Classroom Modells durch die Bereitstellung von Informationsmaterialien und Foren zur theoretischen Vorbereitung auf die praktische Anwendung im Rahmen von Präsenzterminen genutzt werden [13]. Zudem können die selbstgebauten Modelle in Präsenztutorien genutzt werden, um mehr paralleles praktisches Üben abbilden zu können. Aus den Freitextkommentaren der Evaluation des digitalen Formats geht hervor, dass sich die TN die Möglichkeit wünschen, an den Modellen des Simulationszentrums zu arbeiten. Die Tatsache, dass es für die 72 Plätze der stark beschränkten 14 Präsenztermine innerhalb weniger Stunden 278 Buchungen gab, spiegelt das hohe Bedürfnis der Studierenden nach physischer Anwesenheit in den Kursen wider. Das Angebot der digitalen Termine wird zwar von den Studierenden angenommen, jedoch bei weitem nicht im selben Maße.

Die nun angestrebte Hybridvariante sollte im Rahmen von Begleitforschung mit der initialen reinen Präsenzveranstaltung bezüglich Wirksamkeit und Nachhaltigkeit untersucht werden. Schon sicher ist, dass das noch junge studentische Tutorien-Programm „How to… train your skills!“ eine signifikante und vielversprechende Weiterentwicklung erfahren hat. Dies ergibt sich nicht nur durch die Verbindung von Digital und Präsenz, sondern auch durch den situationsbedingten Perspektivenwechsel und den Zwang praktische Fertigkeiten auf Distanz und mit einfachsten improvisierten Mitteln durchzuführen.

Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

[1] Ten Cate O, Durning S. Peer teaching in medical education: twelve reasons to move from theory to practice. Med Teach. 2007;29(6):591-599. DOI: 10.1080/01421590701606799
[2] Benè KL, Bergus G. When learners become teachers: a review of peer teaching in medical student education. Fam Med. 2014;46(10):783-787.
[3] Hall S, Harrison CH, Stephens J, Andrade MG, Seaby EG, Parton W, McElligott S, Myers MA, Elmansouri A, Ahn M, Parrott R, Smith CF, Border S. The benefits of being a near-peer teacher. Clin Teach. 2018;15:403-407. DOI: 10.1111/tct.12784
[4] Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie, Az.Z6a-G8000-2020/122-98. München: Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.stmgp.bayern.de/coronavirus/rechtsgrundlagen/
[5] Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Veranstaltungsverbote und Betriebsuntersagungen anlässlich der Corona-Pandemie, Az. 51-G8000-2020/122-67. München: Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.stmgp.bayern.de/coronavirus/rechtsgrundlagen/
[6] Röhr S, Müller F, Jung F, Apfelbacher C, Seidler A, Riedel-Heller SG. Psychosoziale Folgen von Quarantänemaßnahmen bei schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen: ein Rapid Review. Psychiatr Prax. 2020;47(04):179-189. DOI: 10.1055/a-1159-5562
[7] Breuer G, Fichtner A. Lernen im Vollzug: Der Erwerb praktischer Fertigkeiten. In: St.Pierre M, Breuer G, editors. Simulation in der Medizin. Berlin, Heidelberg: Springer; 2013. p.72. DOI: 10.1007/978-3-642-29436-5_6
[8] Jeong L, Smith Z, Longino A, Merel SE, McDonough K. Virtual Peer Teaching During the COVID-19 Pandemic. Med Sci Educ. 2020;9:1-2. DOI: 10.1007/s40670-020-01065-1
[9] Baker JW. The "Classroom Flip": Using Web course management tools to become the guide by the side. In: Chambers JA, editor. Selected papers from the 11th International Conference on College Teaching and Learning. Jacksonville, Florida: Florida Community College at Jacksonville; 2000. p.9-17.
[10] Peyton JW. Teaching and Learning in Medical Practice. Heronsgate, Rickmansworth, Herts.: Manticore Europe Ltd; 1998.
[11] Mahling M, Münch A, Schenk S, Volkert S, Rein A, Teichner U, Piontek P, Haffner L, Heine D, Manger A, Reutershan J, Rosenberger P, Herrmann-Werner A, Zipfel S, Celebi N. Basic life support is effectively taught in groups of three, five and eight medical students: a prospective, randomized study. BMC Med Educ. 2014;14:185. DOI: 10.1186/1472-6920-14-185
[12] Maloney S, Storr M, Paynter S, Morgan P, Ilic D. Investigating the efficacy of practical skill teaching: a pilot-study comparing three educational methods. Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2013;18(1):71-80. DOI: 10.1007/s10459-012-9355-2
[13] George PP, Papachristou N, Belisario JM, Wang W, Wark PA, Cotic Z, Rasmussen K, Sluiter R, Riboli-Sasco E, Tudor Car L, Musulanov EM, Molina JA, Heng BH, Zhang Y, Wheeler EL, Al Shorbaji N, Majeed A, Car J. Online eLearning for undergraduates in health professions: a systematic review of the impact on knowledge, skills, attitudes and satisfaction. J Glob Health. 2014;4(1):010406. DOI: 10.7189/jogh.04.010406