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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017_N


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Leitartikel
Leitartikel

[Interprofessionelle Ausbildung in der Medizin]

 Marjo Wijnen-Meijer 1

1 Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Institut für Didaktik und Lehrforschung in der Medizin, Dresden, Deutschland




Leitartikel

Die demografische Entwicklung und Diversifizierung unserer Gesellschaft bei gleichzeitig anhaltendem Fachkräftemangel stellt unser Gesundheitssystem täglich vor neue Herausforderungen. Infolgedessen sind die Gesundheitssysteme mehr denn je gezwungen, ihren multiprofessionellen Ansatz der Gesundheitsversorgung durch interprofessionelle Zusammenarbeit sukzessive zu ersetzen [1]. Um auch zukünftige Aufgaben meistern zu können, müssen daher aktuelle und künftige Studierende im Gesundheitssektor frühzeitig mit diesem Thema konfrontiert werden, um eine uniprofessionelle Ausbildung mit möglicher Apathie gegenüber Teamkultur zu vermeiden [2].

Genau hier setzt die Idee der interprofessionellen Ausbildung (IPA) an. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge findet IPE statt, „wenn zwei oder mehr Berufe über, von und miteinander lernen, um eine effektive Zusammenarbeit zu ermöglichen und die Gesundheit zu verbessern“ [3].

Internationale Anstrengungen wurden unternommen, um das Konzept der interprofessionellen Ausbildung zu konkretisieren und entsprechende Rahmen zu entwickeln [4], wobei sich die Kernkompetenzbereiche der interprofessionellen Zusammenarbeit laut der Interprofessional Education Collaborative (IPEC) in vier Hauptbereiche mit insgesamt 33 Teilkompetenzen zusammenfassen lassen [5]. Bei den IPEC-Kernkompetenzbereichen handelt es sich um „Werte und Ethik“, „Rollen und Verantwortlichkeiten“, „Kommunikation“ und „Teams und Teamarbeit“. Beschäftigte im Gesundheitswesen sind tagtäglich mit diesen Themen konfrontiert. Es wäre daher wünschenswert, dass die Arbeit mit Teamkolleg*innen auf gemeinsamen Grundsätzen und gegenseitigem Respekt beruht, damit auch komplexe ethische Entscheidungen gemeinsam getroffen werden können. Je genauer die Rollen definiert, die Grenzen festgelegt und die Zuständigkeiten verteilt sind, desto besser funktioniert ein Team. Hierbei wirkt Kommunikation in seinen verschiedenen Formen als Katalysator für die Kollaboration und kann mit Hilfe etablierter Instrumente einheitlich verbessert werden [6]. Das Teamkonzept umfasst schließlich nicht nur Fachleute, sondern auch Patienten, Familien und die lokale Bevölkerung [7].

Um sich auf solche künftigen Szenarien vorzubereiten, werden verschiedene Ideen aus der Literatur genutzt, um bereits in der Ausbildung die Kernkompetenzen der interprofessionellen Zusammenarbeit zu stärken. Realistische Simulationen mit unterschiedlichen Szenarien [8], aktive Lerneinheiten in Form von Workshops, Kleingruppenarbeit mit Falldiskussionen und Rollenspiele werden bereits effektiv eingesetzt. Die meisten IPA-Lehrveranstaltungen wurden in wechselnden Umgebungen und wechselnder Zusammensetzung von Studierenden aus verschiedenen Berufsgruppen unter Einsatz verschiedener Modalitäten durchgeführt [9]. IPA-Aktivitäten im klinischen Umfeld und damit unmittelbar innerhalb der täglichen Praxis könnten effektiver sein als IPA im regulären Klassenzimmer [10]. Um die Subskala Rollen und Verantwortlichkeiten zu adressieren, ist eine Hospitation bei Mediziner*innen im regulären Arbeitsumfeld eine äußerst effektive IPA-Aktivität [10], [11]. Auch die Beobachtung von Teambesprechungen und die Reflexionsförderung der Studierenden nach einer IPA-Aktivität scheinen die Ergebnisse zu verbessern [11].

Es ist erwähnenswert, dass selbst eine einmalige Intervention die Wahrnehmung und Selbstwirksamkeit von IPA signifikant verbessern kann, wie durch Jung et al. unter anderem anhand eines Rollenspiels zur Simulation eines Medikationsfehlers gezeigt wurden konnte [12]. Außerdem wurde eine positive Korrelation zwischen der Anzahl früherer IPA-Erfahrungen und den Bewertungen der IPEC-Subkompetenzen vor der Befragung festgestellt, was darauf hindeutet, dass frühere Berührungspunkte mit interprofessioneller Zusammenarbeit die Grundlage für künftiges IPA-Lernen bilden [13]. Insgesamt scheinen sich IPA-Interventionen auf die Einstellung gegenüber Fachpersonal anderer Disziplinen auszuwirken, zudem das Kooperationsverhalten deutlich zu verändern und wahrscheinlich auch die Kooperationsfähigkeiten wie etwa Kommunikation zu verbessern [14]. Leider sind die meisten Interventionen kürzer als drei Monate und weisen eine große Heterogenität in Bezug auf Aufbau und Bewertung der Interventionsergebnisse auf [8], [14], [15]. Kaum eine Studie verfolgte hierbei einen Längsschnitt-Ansatz, um die Auswirkungen der IPA-Integration zu bewerten, was es somit schwierig macht, komplexe Teamarbeit auf höherer Ebene adäquat zu entwickeln [9].

Auf Grundlage dieser Literatureinschränkungen bedarf es künftiger Bemühungen, um die nachfolgenden Kernpunkte anzugehen. Interprofessionelle Ausbildung sollte sowohl in akademische Curricula als auch in die klinische Praxis eingebettet werden, um sicherzustellen, dass interprofessionelles Lernen einer Zeit- und Wissenschronologie folgt [8]. Da die akademischen Lernzielkataloge ohnehin langfristig angelegt sind, sollten die Studierenden wiederholt mit den IPEC-Teilkompetenzen in Berührung kommen [13]. Daher ist es ebenso wichtig, die entsprechenden Ergebnisse langfristig und wiederholt zu messen und nicht nur die Ergebnisse vor und nach der Befragung zu vergleichen. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um einen allgemeinen Konsens darüber zu erzielen, welche Instrumente zur objektiven Bewertung der IPA-Implementierung und der Ergebnisse verwendet werden sollten [15]. Eine sorgfältige Vorbereitung der IPA-Multiplikatoren wird maßgeblich über die Qualität der Intervention entscheiden [7]. Darüber hinaus scheint die Psychologie bei der Beteiligung an IPA-Aktivitäten stark unterrepräsentiert zu sein, da es kaum Literatur über die Beteiligung von Psychologiestudent*innen an Interventionen zur interprofessionellen Zusammenarbeit gibt [15].

In Anbetracht der vorhandenen Literatur muss die Bedeutung der interprofessionellen Ausbildung hervorgehoben werden. Die standardisierte, obligatorische und langfristige Entwicklung eines strikten IPA-Rahmens unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten ist der wichtigste Hebel, um angesichts der künftigen Herausforderungen eine angemessene Patientenversorgung zu gewährleisten. Wenn die oben aufgeführten Probleme der derzeitigen IPA-Landschaft nicht als Weckruf dienen, wird das immense Potenzial der interprofessionellen Zusammenarbeit voraussichtlich ungenutzt bleiben.

Interprofessionalität spielt in einigen Artikeln in diesem Heft eine Rolle. In ihrem Artikel beschreibt Juliette Beuken eine Bildungsmaßnahme im Bereich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. Dabei spielen verschiedene Berufe eine Rolle, oft mit einer unterschiedlichen Aufgabenverteilung und Verantwortung in den verschiedenen Ländern [16]. Julia Schendzielorz beschreibt die Planung, Umsetzung und Evaluierung eines längsschnittlichen wissenschaftlichen Curriculums. Eine ihrer Erfahrungen ist, dass ein solcher Lehrplan den Beitrag von Lehrern mit unterschiedlichem Hintergrund, wie Epidemiologie, Anthropologie, Statistik und öffentliches Gesundheitswesen, benötigt [17]. In Bezug auf Lehrer/innen ist auch der Artikel von Franziska Baessler relevant. Sie hat eine Studie darüber durchgeführt, welche Art von didaktischer Ausbildung Ärzte und Psychologen brauchen [18]. Neben mehreren Forschungsartikeln enthält diese Ausgabe auch das Positionspapier des GMA-Ausschusses „Lehrevaluation“. Dieses enthält Empfehlungen für die weitere Entwicklung der Evaluation [19].

Hoffentlich bietet diese Ausgabe neue Inspiration!

Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

[1] Khalili H, Hall J, DeLuca S. Historical analysis of professionalism in western societies: implications for interprofessional education and collaborative practice. J Interprof Care. 20142;28(2):92-97. DOI: 10.3109/13561820.2013.869197
[2] Baker L, Egan-Lee E, Martimianakis MA, Reeves S. Relationships of power: Implications for interprofessional education. J Interprof Care. 2011;25(2):98-104. DOI: 10.3109/13561820.2010.505350
[3] World Health Organization. Framework for Action on Interprofessional Education & Collaborative Practice Health. Geneva: World Health Organization; 2010. Zugänglich unter/available from: https://www.who.int/publications/i/item/framework-for-action-on-interprofessional-education-collaborative-practice
[4] Gilbert J. A National Interprofessional Competency Framework. Vancouver (CA): Canadian Interprofessional Health Collaborative; 2010. Zugänglich unter/available from: https://phabc.org/wp-content/uploads/2015/07/CIHC-National-Interprofessional-Competency-Framework.pdf
[5] Interprofessional Education Collaborative. IPEC Core Competencies for Interprofessional Collaborative Practice: Version 3. Washington (DC): Interprofessional Education Collaborative; 2023. Zugänglich unter/available from: http://www.ipecollaborative.org/ipec-core-competencies
[6] Thompson JE, Collett LW, Langbart MJ, Purcell NJ, Boyd SM, Yuminaga Y, Ossolinski G, Susanto C, McCormack A. Using the ISBAR handover tool in junior medical officer handover: a study in an Australian tertiary hospital. Postgrad Med J. 2011;87(1027):340-344. DOI: 10.1136/pgmj.2010.105569
[7] van Diggele C, Roberts C, Burgess A, Mellis C. Interprofessional education: tips for design and implementation. BMC Med Educ. 2020;20(Suppl 2):455. DOI: 10.1186/s12909-020-02286-z
[8] Shuyi AT, Zikki LYT, Mei Qi A, Koh Siew Lin S. Effectiveness of interprofessional education for medical and nursing professionals and students on interprofessional educational outcomes: A systematic review. Nurse Educ Pract. 2024;74:103864. DOI: 10.1016/j.nepr.2023.103864
[9] Fox L, Onders R, Hermansen-Kobulnicky CJ, Nguyen TN, Myran L, Linn B, Hornecker J. Teaching interprofessional teamwork skills to health professional students: A scoping review. J Interprof Care. 2018;32(2):127-135. DOI: 10.1080/13561820.2017.1399868
[10] Walker L, Cross M, Barnett T. Mapping the interprofessional education landscape for students on rural clinical placements: an integrative literature review. Rural Remote Health. 2018;18(2):4336. DOI: 10.22605/RRH4336
[11] Naumann F, Schumacher U, Stuckey A, Love A, Thompson C, Tunny R, Nash R. Developing the next generation of healthcare professionals: the impact of an interprofessional education placement model. J Interprof Care. 2021;35(6):963-966. DOI: 10.1080/13561820.2021.1879749
[12] Jung H, Park KH, Min YH, Ji E. The effectiveness of interprofessional education programs for medical, nursing, and pharmacy students. Korean J Med Educ. 2020;32(2):131-142. DOI: 10.3946/kjme.2020.161
[13] Edwards S, Molina PE, McDonough KH, Mercante DE, Gunaldo TP. The potential of interprofessional education to translate physiology curricula effectively into future team-based healthcare. Adv Physiol Educ. 2018;42(2):354-359. DOI: 10.1152/advan.00183.2017
[14] Spaulding EM, Marvel FA, Jacob E, Rahman A, Hansen BR, Hanyok LA, Martin SS, Han HR. Interprofessional education and collaboration among healthcare students and professionals: a systematic review and call for action. J Interprof Care. 2021;35(4):612-621. DOI: 10.1080/13561820.2019.1697214
[15] Lamparyk K, Williams AM, Robiner WN, Bruschwein HM, Ward WL. Interprofessional Education: Current State in Psychology Training. J Clin Psychol Med Settings. 2022;29(1):20-30. DOI: 10.1007/s10880-021-09765-5
[16] Beuken JA, Bouwmans ME, Dolmans DH, Hoven MF, Vestegen DM. Qualitative expert evaluation of an educational intervention outline aimed at developing a shared understanding of cross-border healthcare. GMS J Med Educ. 2024;41(2):Doc17. DOI: 10.3205/zma001672
[17] Schendzielorz J, Jaehn P, Holmberg C. Planning, implementation and revision of the longitudinal scientific curriculum at the Medical School Brandenburg. GMS J Med Educ. 2024;41(2):Doc16. DOI: 10.3205/zma001671
[18] Baessler F, Zafar A, Koelkebeck K, Frodl T, Signerski-Krieger J, Pinilla S, Barth GM, Janowitz D, Speerforck S, Roesch-Ely D, Kluge I, Aust M, Rauch C, Utz J, Kersten GM, Spitzer P. What do the teachers want? A targeted needs assessment survey for prospective didactic training of psychiatry medical educators. GMS J Med Educ. 2024;41(2):Doc18. DOI: 10.3205/zma001673
[19] Haverkamnp N, Barth J, Schmidt D, Dahmen U, Keis O, Raupach T. Position statement of the GMA committee “teaching evaluation”. GMS J Med Educ. 2024;41(2):Doc19. DOI: 10.3205/zma001674