journal_logo

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017_N


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Leitartikel
Leitartikel

[Glaubenssätze für erfolgreiche Feedbackkommunikation]

 Michaela Wagner-Menghin 1

1 Medizinische Universität Wien, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinische Abteilung für Sozialpsychiatrie, Wien, Österreich




Leitartikel

„You Think Failure Is Hard? So Is Learning From It.“ ([1], S.1511) Obwohl wir intuitiv zustimmen, dass wir aus Erfolgen und Misserfolgen lernen, stellen wir fest, dass gerade das Erleben von Misserfolg belastend sein kann. Möchten wir aus unseren Misserfolgen lernen, müssen wir die Differenz zwischen Handlungsergebnis und objektiven Leistungsstandards kennen, die das WIE das Handelns definieren, bzw. zwischen persönlichen Werten und Bedürfnissen, die das WARUM des Handelns bestimmen. Diese Differenz müssen wir selbst wahrnehmen, oder durch Feedback aufgezeigt bekommen. Belastend erlebt werden in diesem Zusammenhang zunächst einmal die durch den Misserfolg ausgelösten negativen Emotionen, zudem beeinflussen diese Emotionen die Motivation und Leistung bei weiteren Handlungen [2]. Dies kann die Belastung weiter erhöhen [1], vor allem, wenn die Aufforderung zur Analyse des Misserfolgs das Herabregulieren der negativen Emotionen durch Ablenkung, Verlassen der Situation oder Unterdrückung des Reaktionsausdrucks verunmöglicht.

Aus emotions- und motivationspsychologischer Perspektive entsteht die hohe emotionale Beteiligung bei der Handlungsreflexion, weil die metakognitive Verarbeitung des WIE von Misserfolg gleichzeitig auch die selbstbezogenen, belastenderen Metakognitionen zur Frage des WARUM des Handelns aktiviert. Um handlungsfähig zu bleiben, d. h. das WIE des Handelns zu optimieren, müssen negative Emotionen flexibel herabreguliert werden [3] vor allem, wenn sie durch selbstbezogene Metakognitionen ausgelöst wurden.

Strategien für effektive Feedbackkommunikation, die darauf abzielen, möglichst wenige selbstbezogene Metakognitionen zu aktivieren, sind vor längerer Zeit sowohl für theoretischen [4] und praktischen Unterricht in Simulationen [5] bzw. am Arbeitsplatz [6] als auch für die Arbeit an Werken (z. B. wissenschaftliche Arbeiten) [7], [8] vorgeschlagen worden. Neben „zeitnah“, betonen alle Ansätze die Prinzipien „handlungsleitend und/oder wissenserweiternd“ und „respektvoll/offen“ als Grundlage für effektive Feedbackkommunikation. Ob das Ziel, die Reflexion auf der Selbstebene, welche für negative Emotionen verantwortlich ist, erst gar nicht auszulösen damit erreicht wird, ist jedoch anzuzweifeln. Eine rezente Studie zu Assoziation von im Gesundheitsbereich lehrenden Personen (health professions educators) zum Begriff Feedback kommt zu dem Schluss, dass diesen zwar der Nutzen von Feedback für Handlungsoptimierung präsent ist, sie im Zusammenhang mit dem Geben und Erhalten von Feedback indes dennoch vor allem negative Emotionen erinnern [9]. Neue Strategien, die Feedback geben und bekommen für beide an der Kommunikation beteiligten Personen angenehmer machen, sind zur Erhöhung des Wohlbefindens im Kontext von Ausbildung und Beruf also weiterhin gesucht. Angesichts der starken Beteiligung des Selbst in Form persönlicher Werte und Bedürfnisse [10] an der Entstehung negativer Emotionen bei Misserfolg gilt es, Werte und Bedürfnisse im Selbst zu pflegen, die uns das Lernen aus Misserfolg erleichtern. Drei Glaubenssätze können für Feedback-Gebende und -Bekommende hilfreich sein, weil die damit verbundenen Werte und Bedürfnisse insgesamt weniger Potenzial für das Entstehen negativer Gefühle bei Misserfolg bieten und den Umgang damit erleichtern.

  • Fertigkeit entwickelt sich inkrementell im Austausch mit anderen: Viele kleine Schritte individueller und gemeinsamer Reflexion von erlebter Ergebnis-Standard-Diskrepanz erweitern bereits vorhandene Fertigkeiten. Die innere Haltung nach kontinuierlicher Entwicklung zu streben, schützt vor negativen Emotionen bzw. hilft bei deren Bewältigung in der Feedbackkommunikation [11].
  • Handlungs- oder Werkreflexion löst bei allen Beteiligten Emotionen aus. Da Handlungsreflexion auch Selbstreflexion aktiviert, müssen alle Beteiligte in ihren jeweiligen professionellen Rollen eigene und fremde Emotionen akzeptieren. Lernende werden ermutigt, sich ein Repertoire zum konstruktiven Umgang mit eigenen Reaktionen auf kritisches Feedback zu erarbeiten [11]. Diese Ermutigung ergeht sinngemäß an Lehrende, deren Rolle es beinhaltet, kritisches Feedback zu geben. Sie benötigen ein Repertoire zum konstruktiven Umgang mit eigenen und fremden Reaktionen, möglicherweise ähnlich der Situation des Übermittelns schlechter Nachrichten.
  • Lenkung der Aufmerksamkeit vom Selbst auf den Handlungsplan erleichtert die Emotionsregulation. Strategien zur Distanzierung vom Selbst umfassen z. B. das Erlebte als Empfehlung für zukünftige Handlungen für sich selbst oder für andere Lernende zu formulieren. Ebenso wird aktives Vergegenwärtigen förderlicher Glaubenssätze empfohlen [1].

Die komplexe Beziehung zwischen Selbsterleben, Motivation und Leistung machen es schwierig vorherzusagen, was Feedbackkommunikation in einem Menschen auslöst. Werte und Bedürfnisse, welche das Selbst vor Schaden beim Erleben und Reflektieren von Misserfolg schützen, können das Lernen unterstützen, indem sie das Annehmen des Handlungsergebnisses, das Akzeptieren der Emotionen und das Umlenken der Aufmerksamkeit erleichtern. Trainingsmöglichkeiten für diese sozialen Fertigkeiten zu entwickeln und zu evaluieren, ist daher eine anhaltend wichtige Aufgabe für die ärztliche und gesundheitsberufliche Ausbildungsforschung.

Und so ist es schön zu sehen, dass sich zwei Beiträge dieses Hefts dem Thema Training sozialer Fertigkeiten widmen: Ein von Minow et al. [12] vorgestellter Workshop mit Improvisationstheateraktivitäten erhöht die selbst eingeschätzte Kompetenz für interprofessionelle Teamarbeit und Fehlermanagement im Sinne einer no blame culture. Das helikale, integrierte, longitudinale Kommunikationscurriculum mit Simulationspatientinnen und -patienten über 5 Semester aus der Evaluationsstudie von Zerbini et al. [13] lässt Medizinstudierende einen Zuwachs ihrer Kompetenz erleben und die Bedeutung von empathischer Zuwendung zu Patientinnen und Patienten im Zeitverlauf internalisieren. Die Ergebnisse der Pilotstudie von Knorr et al. [14] zum Einsatz eines kanadischen Situationsbeurteilungstests bei Bewerbenden für deutsche Medizinstudiengänge sind auch im Kontext der Curriculumsentwicklung interessant. Der Test könnte in Zukunft zur Evaluation von Interventionen zum Training sozialer Kompetenzen eingesetzt werden.

Zwei weitere Arbeiten des aktuellen Heftes illustrieren, wie wichtig die Lernumgebung ist, um den Glaubenssatz „Fertigkeit entwickelt sich inkrementell im Austausch mit anderen Übenden“ leben zu können: Die von Dronia et al. [15] zu Wissen und Fertigkeiten im Bereich Palliativmedizin befragten Medizinstudierenden im Praktischen Jahr und Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung gaben an, am meisten vom Üben von Fertigkeiten in der Kleingruppe zu profitieren. Die Bedeutung von Integration in die Arbeits- und Lerngemeinschaft eines klinischen Teams zeigen die Ergebnisse von Homberg et al. [16], welche dem Effekt der Erfahrung im chirurgischen Abschnitt des Praktischen Jahres auf den Wunsch eine chirurgische Fachausbildung zu beginnen nachgehen. Obwohl männliche und weibliche Studierende über eine ähnliche Anzahl positiver und negativer Erfahrungen berichtet, fühlen sich letzte weniger gut in die Arbeit und ins Team integriert und entscheiden sich weniger oft für eine chirurgische Fachausbildung.

Dass Austausch und Reflexion auch jenseits von Fertigkeitenerwerb die Weiterentwicklung inspirieren, illustrieren vier Arbeiten des Heftes: Anlässlich der Akademisierung der Hebammenausbildung in Deutschland plädiert der Ausschuss Hebammenwissenschaften der Gesellschaft für medizinische Ausbildung (GMA) für eine Zusammenarbeit der einzelnen Studienstandorte in der Entwicklung des Lehrangebots [17] und reflektiert die fach- und bildungswissenschaftlichen Konsequenzen, welche sich aus den Kompetenzzielen des deutschen Berufsgesetzes ergeben [18]. Ein im Sinne von Austausch und Reflexion erfreuliches Ergebnis der Arbeit von Juschka et al. [19] ist, dass es bereits mehrere Angebote für interprofessionelle Ausbildung von Studierenden aus hebammenwissenschaftlichen und medizinischen Studiengängen in der DACH-Region gibt, in denen gemeinsam gelernt wird. Abschließend bleibt zu hoffen, dass sich noch mehr Ausbildungsstandorte dazu entschließen, Feedback zu ihrem Angebot zu reflektieren, z. B. ähnlich wie von Kunz et al. [20] vorgestellt. Absolventinnen und Absolventen des Freiburger Medizincurriculums werden 1,5 Jahre nach Studienabschluss um Feedback zur Anwendbarkeit des Gelernten bei Berufseinstieg gebeten, um Modifikationen am Curriculum orientiert an den Bedürfnissen der Berufsanfänger:innen ausrichten zu können.

Vielen Dank allen Autorinnen und Autoren für das öffentliche Reflektieren Ihrer Erfolge und Misserfolge. Viel Erfolg allen Leser:innen und zukünftigen Autorinnen und Autoren bei der Rezeption der Erkenntnisse und der Umsetzung neuer Ideen.

ORCID der Autorin

Michaela Wagner-Menghin: [0000-0003-1645-7577]

Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

[1] Eskreis-Winkler L, Fishbach A. You Think Failure Is Hard? So Is Learning From It. Perspect Psychol Sci. 2022;17(6):1511-1524. DOI: 10.1177/17456916211059817
[2] McConnell MM, Eva KW. The role of emotion in the learning and transfer of clinical skills and knowledge. Acad Med. 2012;87(10):1316-1322. DOI: 10.1097/ACM.0b013e3182675af2
[3] Kuhl J, Beckmann J. Volition and Personality: Action Versus State Orientation. Seattle u.a.: Hogrefe & Huber; 1994.
[4] Hattie J, Timperley H. The power of feedback. Review. Rev Educ Res. 2007;77(1):81-112. DOI: 10.3102/003465430298487
[5] Rudolph JW, Simon R, Raemer DB, Eppich WJ. Debriefing as formative assessment: closing performance gaps in medical education. Acad Emerg Med. 2008;15(11):1010-1016. DOI: 10.1111/j.1553-2712.2008.00248.x
[6] Milne DL. Evidence-based clinical supervision: Principles and practice. Hoboken: Wiley-Blackwell; 2009. p.272-xi.
[7] Azer SA, Ramani S, Peterson R. Becoming a peer reviewer to medical education journals. Med Teach. 2012;34(9):698-704. DOI: 10.3109/0142159X.2012.687488
[8] Seeber M. How do journals of different rank instruct peer reviewers? Reviewer guidelines in the field of management. Scientometrics. 2020;122(3):1387-1405. DOI: 10.1007/s11192-019-03343-1
[9] Alansari R, Lim PW, Ramani S, Palaganas JC. What do you think of when you hear the word 'feedback'? A reflective thematic analysis study of interviews. Clin Teach. 2024;21(3):e13696. DOI: 10.1111/tct.13696
[10] Rogers CR, Rosenberg RL. Die Person als Mittelpunkt der Wirklichkeit. 4. Auflage. Stuttgart: Klett Cotta; 2019.
[11] Carless D, Boud D. The development of student feedback literacy: enabling uptake of feedback. Ass Eval Higher Educ. 2018; 43(8): 315-1325. doi:10.1080/02602938.2018.1463354
[12] Minow A, Gandras K, Wagner J, Westermann J. Good ideas for teaching: Design and implementation of the communication workshop “me as team member” for third-year medical students. GMS J Med Educ. 2024;41(3):Doc25. DOI: 10.3205/zma001680
[13] Zerbini G, Reicherts P, Reicherts M, Roob N, Schneider P, Dankert A, Greiner SK, Kadmon M, Lechner V, Roos M, Schimmel M, Strube W, Temizel S, Uhrmacher L, Kunz M. Communication skills of medical students: Evaluation of a new communication curriculum at the University of Augsburg. GMS J Med Educ. 2024;41(3):Doc26. DOI: 10.3205/zma001681
[14] Knorr M, Mielke I, Amelung D, Safari M, Gröne OR, Breil SM, MacIntosh A. Measuring personal characteristics in applicants to German medical schools: Piloting an online Situational Judgement Test with an open-ended response format. GMS J Med Educ. 2024;41(3):Doc30. DOI: 10.3205/zma001685
[15] Dronia MC, Dillen K, Elsner F, Schallenburger M, Neukirchen M, Hagemeier A, Hamacher S, Doll A, Voltz R, Golla H. Palliative care education and knowledge transfer into practice – a multicenter survey among medical students and resident physicians in Germany using a mixed-methods design. GMS J Med Educ. 2024;41(3):Doc27. DOI: 10.3205/zma001682
[16] Homberg A, Narciß E, Obertacke U, Schüttpelz-Brauns K. Surgical experiences of final-year undergraduates and the impact on their career aspiration stratified by sex/gender. GMS J Med Educ. 2024;41(3):Doc28. DOI: 10.3205/zma001683
[17] Plappert CF, Bauer NH, Dietz-Schwonberg K, Grieshop M, Kluge Bischoff A, Zyriax BC, Striebich S. Academic education of midwives in Germany (part 1): Requirements for bachelor of science programmes in midwifery education. Position paper of the Midwifery Science Committee (AHW) in the DACH Association for Medical Education (GMA). GMS J Med Educ. 2024;41(3):Doc33. DOI: 10.3205/zma001688
[18] Striebich S, Bauer NH, Dietze-Schwonberg K, Grieshop M, Kluge-Bischoff A, Zyriax BC, Plappert CF. Academic training of midwives in Germany (part 2): Opportunities and challenges for the further development of the profession of midwifery. Position paper of the Midwifery Science Committee (AHW) in the DACH Association for Medical Education (GMA). GMS J Med Educ. 2024;41(3):Doc32. DOI: 10.3205/zma001687
[19] Juschka ML, Agricolas CJ, Neumann FA, Mohr S, Zyriax B. C. Status quo of interprofessional education for midwifery and medical students in Germany, Austria, and Switzerland. GMS J Med Educ. 2024;41(3):Doc31. DOI: 10.3205/zma001686
[20] Kunz K, Köpper H. Medical studies at the University of Freiburg in retrospect – study conditions, study quality and skills acquisition from the perspective of graduates. GMS J Med Educ. 2024;41(3):Doc29. DOI: 10.3205/zma001684