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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017_N


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Artikel
Anamneseerhebung

[„Rauchen Sie?“ – inhaltliche und sprachliche Analyse von studentischen Substanzanamnesen in simulierten Anamnesegesprächen]

Hilko Wittmann 1
Sarah Prediger 1
 Sigrid Harendza 1

1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland

Zusammenfassung

Zielsetzung: Der Konsum von Tabak, Alkohol und anderen Drogen hat erhebliche gesundheitliche Konsequenzen. Substanzanamnesen werden im klinischen Alltag oft nur lückenhaft erhoben. Beim Erlernen der Anamnese im Medizinstudium gehört das Erheben des Konsumverhaltens zu den Lernzielen. Ziel dieser explorativen Studie war es daher, durch Medizinstudierende erhobene Substanzanamnesen inhaltlich und sprachlich zu untersuchen.

Methodik: Von einem Simulationstraining eines ersten Arbeitstages im Krankenhaus lagen 91 Videofilme von Anamnesegesprächen vor, die fortgeschrittene Medizinstudierende mit sechs Patienten mit unterschiedlichem Konsumverhalten geführt hatten. Diese Gespräche wurden verbatim transkribiert und mittels inhaltlich-strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet. Für alle Substanzen wurden der Fragenanlass und die Vertiefung des jeweiligen Substanzgebrauches kategorisiert und Fehler in der Fragestellung untersucht. Außerdem erfolgte eine sprachliche Analyse der Art, wie nach den Substanzen gefragt wurde.

Ergebnisse: Die Studierenden fragten am häufigsten nach Rauchen (73,3%). In nur 15,4% der Gespräche wurde nach allen Substanzen gefragt, in keinem nach allen Substanzen vollständig. Insgesamt ließen sich 112 Protokoll-Fragen und 21 anlassbezogene Fragen identifizieren. Als Fragenfehler konnten Logikfehler und Doppelfragen gefunden werden. Die meisten Fragen wurden sachlich gestellt. Es fanden sich jedoch unter anderem auch Fragen in den Kategorien „ausweichend“ und „stigmatisierend“.

Schlussfolgerung: Den in dieser Studie identifizierten inhaltlichen und sprachlichen Defiziten Medizinstudierender in der Erhebung von Substanzanamnesen sollte frühzeitig im Studium in Kommunikationskursen begegnet werden.


Schlüsselwörter

Alkohol, Anamnese, Drogen, Kommunikation, Rauchen, Substanzgebrauch, Medizinstudium

1. Einleitung

Konsum von Tabak, Alkohol und anderen Drogen hat erhebliche gesundheitliche Konsequenzen für Individuen und stellt damit auch eine Herausforderung für das Gesundheitssystem dar [1], [2], [3]. Rauchen ist in Deutschland der wichtigste vermeidbare Risikofaktor für chronische, nicht-übertragbare Krankheiten [https://www.dkfz.de/de/krebspraevention/Downloads/pdf/Buecher_und_Berichte/2020_Tabakatlas-Deutschland-2020.pdf] und Alkoholkonsum ist mit einer Vielzahl von kurzfristigen und langfristigen Folgeerkrankungen assoziiert [https://www.dkfz.de/de/nationale-krebspraeventionswoche-2022/alkoholatlas-2022.html]. Andere Drogen werden in Deutschland sehr unterschiedlich häufig konsumiert, wobei Cannabis die am häufigsten konsumierte Droge ist und eine steigende Prävalenz bei Erwachsenen zeigt [4]. Mit der Cannabis-Legalisierung in Deutschland im April 2024 ist mit einer weiteren Dynamik des Konsums zu rechnen. Unter Berücksichtigung der hohen Prävalenz von Substanzgebrauch sowie der relevanten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die daraus resultieren können, sollte in Anamnesegesprächen nach dem Konsumverhalten gefragt werden [5]. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass Anamnesen zu Konsum von Substanzen im klinischen Alltag oft nur lückenhaft erhoben werden [6].

Für die medizinische Ausbildung wird beim Erlernen der Anamnese das Erheben des Konsumverhaltens ausdrücklich empfohlen [7]. Hinweise, wie beispielsweise Fragen nach dem Konsumverhalten von Tabak in die Lehre der Anamnese integriert werden können, lassen sich ebenfalls finden [8]. Ob und wie solche Empfehlungen im medizinischen Unterricht umgesetzt werden, ist im Detail nicht bekannt. Im internationalen Feld der medizinischen Ausbildung gibt es beispielsweise die Entwicklung eines Lebensstil-Curriculums, in dem auch Aspekte der Anamnese hinsichtlich des Konsumverhaltens von Tabak, Alkohol und anderen Drogen inkludiert wurden [9]. Untersuchungen mit Medizinstudierenden konnten jedoch auch zeigen, dass diese in einer OSCE-Prüfung das Rauchverhalten nur unzureichend dokumentierten [10]. Außerdem wurde festgestellt, dass Studierende in Anamnesen das Rauch- und Alkoholkonsum-Verhalten nicht umfassend erfragten [11]. Dies legt die Vermutung nahe, dass Studierende entweder über das korrekte Erheben von Substanzanamnesen nicht ausreichend unterrichtet werden oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, das Gelernte im ärztlichen Arbeitsalltag adäquat anzuwenden.

Im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) 2.0 ist die Kenntnis von „Missbrauch und Abhängigkeit von Genussmitteln, Drogen und Medikamenten“ ein ausgewiesenes Lernziel [https://nklm.de/zend/objective/list/orderBy/@objectivePosition/studiengang/Erkrankung]. Ob und in welchem Umfang dieses Lernziel schon erreicht wird, ist nicht bekannt. Ziel unserer Querschnittsstudie war es daher zu explorieren, ob und wie fortgeschrittene Medizinstudierende Anamnesen zu Tabak, Alkohol und anderen Drogen inhaltlich und sprachlich in simulierten Anamnesegesprächen erheben.

2. Methoden

2.1. Studienablauf

Im Centrum zur Entwicklung und Prüfung ärztlicher Kompetenzen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wurde ein Simulationstraining eines ersten Arbeitstages im Krankenhaus validiert [12], welches seit dem Jahr 2020 in einer telemedizinischen Variante nutzbar ist [13]. Die drei Hauptphasen des Trainings beinhalten

  1. eine Sprechstunde mit vier Simulationspatient*innen,
  2. eine Managementphase, während der Diagnostik für die Patient*innen angefordert werden kann und nach dem Erhalt von Befunden,
  3. eine Fallvorstellung und Diskussion mit Oberärzt*innen.

Alle Anamnesegespräche werden auf Video aufgezeichnet. Insgesamt wurden für das Training 36 verschiedene Fälle etabliert, die alle auf echten Fällen aus der lokalen Notaufnahme basieren. Diese werden von trainierten, professionellen Schauspieler*innen dargestellt. Für diese Studie wurden sechs männliche Patientenfälle ausgewählt. Diese sind mit ihrem Lebensalter, ihren Symptomen, ihrer Diagnose, ihrer persönlichen Situation und ihrem Konsumverhalten von Tabak, Alkohol oder anderen Drogen in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt. Die Auswahl der Fälle in Bezug auf das Konsumverhalten erfolgte in etwa proportional zum Verhältnis der Häufigkeit des Konsumverhaltens der entsprechenden Substanzen in der Bevölkerung in Deutschland.

Tabelle 1: Überblick über die Patientenrollen

2.2. Teilnehmende

Aus einem Zeitraum von Juni 2020 bis März 2021 lagen 91 Videofilme von telemedizinischen Anamnesegesprächen mit diesen sechs Patienten vor. Von den 61 erstmalig teilnehmenden Medizinstudierenden (n=7 im 10. Fachsemester, n=54 im Praktischen Jahr), die die Gespräche führten, waren 35 weiblich und 26 männlich. Dieses Projekt wurde in Übereinstimmung mit der Erklärung von Helsinki durchgeführt. Die Ethik-Kommission der Ärztekammer Hamburg genehmigte die Studie und bestätigte ihre Unbedenklichkeit. Die Teilnahme war freiwillig und wurde mit einer schriftlichen Einverständniserklärung bestätigt (Referenz-Nummer: PV3649).

2.3. Datenanalyse

Die 91 für die Auswertung vorliegenden Videos der sechs verschiedenen simulierten Patientenrollen wurden verbatim transkribiert und anschließend für die Analyse aufbereitet. Die Transkripte wurden im Sinne einer inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz [14] mit der Software MAXQDA 2022 (Release 22.2.1, Build 220726, x64) ausgewertet. Zunächst wurden die Textpassagen, in denen eine Substanzanamnese erhoben wurde, markiert. Die weitere Codierung erfolgte aufgeteilt nach den Substanzen „Rauchen“, „Alkohol“ und „andere Drogen“. Hierbei wurde sowohl der Anlass der Frage, also in welchem Zusammenhang die betreffende Substanz erfragt wurde, als auch die weitere Vertiefung des jeweiligen Substanzgebrauchs (seit wann, wie häufig, in welcher Menge) ermittelt und kategorisiert. Außerdem wurde auf Fehler in der Fragestellung geachtet. Anschließend erfolgten eine Analyse und Kodierung, in welcher sprachlichen Weise und Konnotation nach den Substanzen gefragt wurde. Danach wurde ergänzend eine Auswertung der Befunde mittels deskriptiver Statistik durchgeführt.

3. Ergebnisse

Insgesamt fragten die Studierenden in den 91 Anamnesegesprächen in 73,3% der Fälle nach dem Rauchverhalten der Patienten, in 58,9% nach Alkohol und in 16,7% nach anderen Drogen (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Hierbei bestanden zum Teil deutliche Unterschiede zwischen den sechs Patientenfällen. Insgesamt wurde nur in 14 Gesprächen (15,4%) nach allen drei Substanzen gefragt. In keinem dieser Gespräche wurde nach allen Substanzen vollständig gefragt. In 59,3% der Fälle, in denen nach Substanzen gefragt wurde, fehlten Angaben zu Menge, Frequenz oder Dauer des Konsums. Nach der Art des Konsums (z.B. Zigaretten, Zigarillos etc.) wurde bei Rauchen und bei anderen Drogen in keinem Fall gefragt. Wenn Alkohol thematisiert war, wurde die Art des Konsums (z.B. Bier, Wein etc.) in 1,9% der Fälle erfragt.

Tabelle 2: Vollständigkeit der Substanzanamnese bei den verschiedenen Patientenrollen

Bei der Analyse des Fragenanlasses konnten zwei Kategorien identifiziert werden: Protokollfragen und anlassbezogene Fragen. Als Protokollfrage wurde definiert, wenn Substanzkonsum beispielsweise im Rahmen der vegetativen Anamnese erhoben wurde:

Studentin 1: „Okay. Irgendwie Gewicht abgenommen oder stark geschwitzt nachts vor allem?“

Patient 1: „Nee, nee.“

Studentin 1: „Nichts bekannt. Okay. Rauchen Sie?“

Patient 1: „Nein.“

Studentin 1: „Haben Sie mal geraucht?“

Patient 1: „Nein.“

Studentin 1: „Trinken Sie Alkohol?“

Patient 1: „Auch nicht.“

Studentin 1: „Auch nicht. Nehmen Sie andere Drogen?“

Patient 1: „Nein. Auch nicht.“

Als anlassbezogene Frage wurde definiert, wenn sich die Frage aus einer Schilderung des Patienten aufgrund einer impliziten Differentialdiagnose ergab:

Student 2: „(…), der Husten, ist der trocken, oder kommt da was raus, wenn Sie husten müssen?“

Patient 5: „Äh, heute Morgen ist da... war da so‘n bisschen Blutschlieren, aber sonst....“

Student 2: „Ein bisschen Blutschlieren, okay. (…) rauchen Sie?“

Patient 5: „Ja, leider rauche ich, ja.“

In diesem Fall hat der Patient über blutigen Husten berichtet und die Frage „Rauchen Sie?“ lässt auf die von dem Studierenden vermuteten Verdachtsdiagnose eines Bronchialkarzinoms schließen. Über alle Substanzen ließen sich 112 Protokoll-Fragen und 21 anlassbezogene Fragen identifizieren (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]). Bei Patient 5 traten die meisten anlassbezogenen Fragen (n=10) für das Rauchen auf.

Tabelle 3: Anlass der Anamnesefragen

Es ließen sich drei Arten von Fragenfehlern feststellen, die wir als „Logikfehler“ (n=17), „Doppelfrage“ (n=11) und „unpräzise Fragestellung“ (n=1) bezeichneten. In kombinierter Form fanden sich auch „Logikfehler und Doppelfrage“ (n=8). Die Kategorisierung als Fragenfehler bezog sich ausschließlich auf die Formulierung der Frage und wurde auch bei korrekter Antwort des Patienten als Fragenfehler kodiert. Als Logikfehler wurden Fragen gruppiert, die so gestellt waren, dass eine korrekte Antwort seitens des Patienten, z.B. mit „ja“ oder „nein“, nicht zu dem gewünschten Informationsgewinn führen würde.

Student 3: „Darf ich fragen, ob Sie rauchen?“

Patient 2: „Ja.“

Hier ist nicht unmittelbar klar, ob die Antwort bereits die implizierte Frage nach dem Nikotinkonsum beantwortet, oder ob der Patient lediglich erlaubt danach zu fragen. Ein weiterer Fund in dieser Kategorie betrifft die Thematik des Alkoholkonsums.

Student 4: „Okay. Und Alkohol, ist das bei Ihnen ein Thema?“

Patient 4: „Also, ich trinke abends zum Abendessen eine Flasche Bier.“

Der Patient in diesem Beispiel hätte, wie im vorherigen Beispiel, mit „ja“ oder „nein“ antworten können als Antwort auf seine eigene Einschätzung eines schädlichen Alkoholgebrauchs. Rollengemäß beantwortet er hier die Frage mit Art und Menge des Alkoholkonsums, ohne auf den Logikfehler in der Fragestellung einzugehen.

Bei einer „Doppelfrage“ wurde nach mehr als einer Substanz in einer Frage gefragt, was häufig nur zur Beantwortung einer Substanz führte, wenn die fragende Person nicht nach der zweiten Substanz noch einmal nachhakte.

Studentin 5: „Dann fragen wir auch immer noch nach so etwas wie Rauchen und Alkohol.“

Patient 1: „Ich rauche nicht. Gar nicht, nein.“

Studentin 5: „Nie geraucht?“

Patient 1: „Nein, nie geraucht.“

Studentin 5: „Okay. Gut, das sind schon mal die wichtigsten Fragen.“

In der Kategorie „unpräzise Fragestellung“ konnte eine Frage gefasst werden.

Studentin 6: „Rauchen Sie viel?“

Patient 4: „Äh, eine Schachtel am Tag.“

Zwar wird hier nach Rauchen gefragt, es ist aber nicht klar, was unter „viel“ zu verstehen ist. Auch der Patient muss hier kurz überlegen („äh“), ob eine Schachtel bereits in die Kategorie „viel“ fällt, was einer unpräzisen Mengenangabe mit subjektiver Bewertung entspricht. Er beantwortet dann die eigentlich geschlossene Frage rollengemäß aber direkt mit einer Mengenangabe. Insgesamt wurden 75,8% der Fragen nach Tabakkonsum, 66% der Fragen nach Alkoholkonsum und 93,3% der Fragen nach dem Konsum anderer Drogen fehlerfrei gestellt.

Die überwiegende Zahl der Fragen nach Substanzkonsum wurde sprachlich sachlich gestellt und entsprechend in der Kategorie „sachlich“ (n=96) zusammengefasst.

Studentin 7: „Rauchen Sie?“

Student 8: „Trinken Sie Alkohol?“

Studentin 9: „[Nehmen Sie] andere Drogen?“

Als „ausweichend“ (n=10) wurden alle Fragen kategorisiert, in denen die Studierenden das Stellen einer direkten Frage vermieden haben und ein rhetorisches Stilmittel verwendeten, um die Substanzanamnese trotzdem korrekt zu erheben. In einigen Fällen wurde die ausweichende Frage mit einer anschließenden, sachlich gestellten Frage als eigenes Korrektiv kombiniert, was als Kategorie „sachlich und ausweichend“ gezählt wurde (n=5).

Student 10: „Wie sieht es aus mit Rauchen? Rauchen Sie?“

Student 11: „Wie ist das mit Alkohol? Trinken Sie regelmäßig?“

Als weitere Kategorie konnten „entschuldigend“ (n=3) gestellte Fragen herausgearbeitet werden. Fragen in dieser Kategorie kennzeichnet, dass der Grund, warum die Frage gestellt wird, von der eigenen Person auf den ärztlichen Beruf abgewälzt wird.

Student 10: „(…) Haben Sie noch… Ich muss es fragen: Haben Sie noch irgendwelche anderen Drogen, die Sie nehmen?“

Desweitern ließen sich Fragen sprachlich in der Kategorie „suggestiv“ (n=3) zusammenfassen. Hier wurden Fragen nach dem Substanzkonsum nicht offen gestellt, sondern der Konsum oder eine Abstinenz wurde vorausgesetzt.

Studentin 12: „Und wie viel Alkohol trinken Sie so am Tag?“

Studentin 13: „Irgendwelche anderen Substanzen kann ich auch ausschließen?“

Als „nicht-sachlich“ (n=2) wurden Fragen kategorisiert, die im Gegensatz zur Kategorie „sachlich“ eine gewisse Professionalität vermissen lassen. Hierbei finden sich Floskeln und unpräzise Formulierungen.

Studentin 14: „Rauchen Sie zufällig?“

Studentin 15: „Und Ihr Alkoholkonsum?“

Patient 5: „Der ist gar nicht vorhanden.“

Eine weitere sprachliche Kategorie konnte identifiziert werden, die wir als „stigmatisierend“ (n=4) kodiert haben und die im Kontext dieser Studie nur bei der Substanz Tabak vorkam. In dieser Kategorie wird der Patient sprachlich auf seine Suchterkrankung reduziert.

Studentin 16: „Sind Sie Raucher?“

Patient 5. „Bin ich, ja.“

Schließlich ließen sich Fragen in der Kategorie „übertriebene Höflichkeit“ (n=1) fassen. Die so kategorisierte Frage ging in der Formulierung über das übliche Maß an Höflichkeit hinaus und beinhaltet gleichzeitig, wie oben beschrieben, den Fragenfehler „Logikfehler“.

Student 3: „Darf ich fragen, ob Sie rauchen?“

Patient 2: „Ja.“

4. Diskussion

In den Substanzanamnesen der an dieser Studie beteiligten Medizinstudierenden ließen sich verschiedene inhaltliche und sprachliche Defizite identifizieren. Dass nach dem Rauchverhalten häufiger in den Anamnesegesprächen gefragt wurde als nach Alkohol oder Drogenkonsum, könnte durch die eingangs beschriebenen unterschiedlichen Konsumhäufigkeiten dieser drei Substanzgruppen bedingt sein. Ein weiterer Grund, warum die Studierenden häufiger nach dem Rauchen fragten als nach dem Alkoholkonsum oder der Nutzung anderer Drogen, könnte darin liegen, dass die gesellschaftliche Stigmatisierung bei Rauchen, das noch im 20. Jahrhundert in der Gesellschaft breit akzeptiert war, geringer ist als bei Alkohol oder andere Drogen [15], [16], [17]. In der Mehrzahl der Fälle stellten die Studierenden eine Protokollfrage, wenn sie nach Substanzgebrauch fragten. Substanzgebrauch wurde also wie ein Teil der Sozialanamnese erfragt. Da Substanzgebrauch bei vielen Beschwerden in die Differentialdiagnose von Erkrankungen einbezogen werden kann, wird jedoch eher empfohlen, anlassbezogen im Rahmen der Hauptbeschwerde nach Substanzgebrauch zu fragen [5]. Bei Patient 5, dem Patienten mit dem blutigen Husten, kamen die meisten anlassbezogenen Fragen zum Rauchen vor, vermutlich, da die Studierenden hier den Zusammenhang eines Substanzgebrauchs zur Hauptbeschwerde herstellen konnten. Dieser Zusammenhang mündete in einer Differentialdiagnose (Bronchialkarzinom), die sich aus dem Kontext der Beantwortung der Frage nach dem Rauchen ergab. Das Erfragen von Substanzgebrauch stellt somit einen wichtigen kontextualen Faktor dar, dessen Nicht-Erfragen zu medizinischen Irrtümern und fehlerhaftem klinischem Denken führen kann [18].

Außerdem waren die Anamnesen zum Substanzgebrauch in hohem Maße unvollständig, auch dann, wenn ein bestimmter Substanzgebrauch differentialdiagnostisch zur Hauptbeschwerde beigetragen haben könnte. In einer Notaufnahme konnte demonstriert werden, dass auch Medikamentenanamnesen häufig nicht vollständig erhoben wurden, obwohl in fast einem Drittel die Medikamente, die nicht erfragt wurden, einen Beitrag zur Hauptbeschwerde geleistet hatten [19]. Um die Medikamentenanamnese vollständig zu erheben, scheint eine Befragungstechnik wie bei einer vegetativen Anamnese geeignet zu sein [20], was daher auch für Substanzgebrauch im Hinblick auf Vollständigkeit nützlich sein könnte. Neben den unvollständigen Substanzanamnesen fanden sich weiterhin wiederholt auftretende Fehler in der Fragestellung, insbesondere Doppelfragen und Logikfehler sowie deren Kombination. Diese hatten undeutliche oder unvollständigen Antworten der Patienten zur Folge, was wiederum zu fehlerhaften medizinischen Rückschlüssen bei den Studierenden geführt haben könnte. Der Verlust von Informationen durch fehlerhafte Fragestellung in der Anamnese ist eine der häufigsten Fehlerquellen in der medizinischen Erstversorgung [21]. Es könnte daher geeignet sein, solche typischen Fragenfehler zu kennen und die Studierenden auf diese schon im Anamnesekurs aufmerksam zu machen.

In der sprachlichen Analyse der Fragen nach Substanzgebrauch zeigte sich, dass die Studierenden bereits ein hohes Maß an Professionalität im Umgang mit sachlich geführter Substanzanamnese haben. Es kamen jedoch auch Fragen vor, die ausweichend, entschuldigend, suggestiv oder nicht sachlich im Sinne von unpräzise bzw. floskelhaft gestellt wurden, besonders bei der Frage nach Alkoholkonsum. Die Formulierungen erweckten teilweise den Eindruck, als sei es den Studierenden peinlich, diese Fragen zu stellen, was mit der oben bereits erwähnten hohen gesellschaftlichen Stigmatisierung von Substanzkonsum zu tun haben könnte [15], [16], [17]. Bei Personen, die im Gesundheitswesen arbeiten, zeigte sich insbesondere ein hoher Grad an Stigmatisierung gegenüber Personen mit übermäßigem Substanzgebrauch [22]. In einer Untersuchung gaben Ärzt*innen an, nach Rauchen zu fragen, weitere Drogen aber in der Anamnese nicht gezielt zu erfragen [23]. Basierend auf diesen Ergebnissen wurde eine Eselsbrücke vorgeschlagen, die bei der Anamnese an das Erfragen des Gebrauchs von Tabak, Alkohol und anderen Drogen erinnern sollte [23], sodass im Unterricht gezielt an den Formulierungen und der Reflexion des eigenen Schamgefühls gearbeitet werden kann. Außerdem konnte gezeigt werden, dass computerassistierte Anamnesesysteme nützlich sein können, um sensible Themen wie Alkoholkonsum sachlich zu erfragen [24]. Auch wenn in unserer Untersuchung unsachlich gestellte Fragen nach Substanzkonsum in nur geringer Ausprägung auftraten, sollten Studierende explizit lernen, auf Formulierungen zu achten und stigmatisierende Sprache wie im Beispiel „Sind Sie Raucher?“ zu vermeiden. Empfohlen wird hierfür eine sogenannte „Person-first“-Sprache und „Identity-first“ als zweite Variante [25], [26], wie sie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, beispielsweise für Menschen mit Einschränkungen, bereits alltäglich genutzt wird. Diese könnte ebenfalls in den entsprechenden Kommunikationskursen zur Anamneseerhebung gelehrt werden.

Eine Stärke der Studie ist, dass die Anamnesegespräche aus einer standardisierten und validierten Simulation stammen, die für eine telemedizinische Nutzung adaptiert wurde [12], [13]. Eine weitere Stärke sind die sechs standardisierten Patienten mit unterschiedlichem Substanzgebrauch, von denen im Mittel 15 Gespräche pro Patient vorlagen, was für eine qualitative Analyse als ausreichend bewertet wurde. Eine Schwäche ist jedoch, dass keine Anamnesegespräche mit Patientinnen untersucht wurden, sodass mögliche Geschlechtsunterschiede beim Erheben der Konsumanamnese unentdeckt geblieben sein könnten. Außerdem konnten sich die Medizinstudierenden für eine Teilnahme an der Simulation freiwillig und nach dem Windhundverfahren anmelden, wodurch die Teilnehmenden nicht der Grundgesamtheit der Medizinstudierenden entsprechen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich besonders interessierte und motivierte Medizinstudierende angemeldet haben, was zu einer Verzerrung geführt haben könnte. Trotzdem ließen sich die beschriebenen Defizite in der Substanzanamnese bei einigen der untersuchten Studierenden identifizieren.

Diese Studie liefert somit erste Hinweise, in welchen Bereichen bei Substanzanamnesen fortgeschrittener Medizinstudierender noch inhaltliche oder sprachliche Defizite liegen. Diese sind bisher nicht bekannt und es gibt zu diesem späten Zeitpunkt im Studium keine Kommunikationskurse oder strukturiertes Feedback durch Lehrende, das diese Aspekte aufgreift. Substanzanamnesen könnten daher mit spezifischem Fokus auf inhaltliche und sprachliche Besonderheiten und Fallstricke beispielsweise in die longitudinalen Kommunikationscurricula, wie sie bereits auf Basis des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs (NKLM) etabliert wurden [27], integriert werden. Außerdem könnte für die Kombination aus einer mini-clinical evaluation exercise (mini-CEX) und einer direct observation of procedural skills (DOPS) zur Substanzanamnese geeignet sein, welche für chirurgische Fähigkeiten bei Medizinstudierenden eine Verbesserung in der Anamneseerhebung zeigen konnte [28].

5. Schlussfolgerung

Obwohl fortgeschrittene Medizinstudierende sprachlich und inhaltlich Substanzanamnesen zufriedenstellend erheben, zeigte sich insbesondere bei der Vollständigkeit und in einigen sprachlichen Aspekten der Fragestellungen Verbesserungspotential. Diese Befunde könnten daher dazu dienen, in den Kommunikationscurricula und den Anamnesekursen der Substanzanamnese einen Schwerpunkt zu widmen und die Nachhaltigkeit des Erlernten longitudinal zu überprüfen.

Anmerkungen

Förderung

Dieses Projekt wurde durch die Joachim Herz Stiftung unterstützt.

Ethische Zustimmung

Dieses Projekt wurde in Übereinstimmung mit der Erklärung von Helsinki durchgeführt. Die Ethik-Kommission der Ärztekammer Hamburg genehmigte die Studie und bestätigte ihre Unbedenklichkeit. Die Teilnahme war freiwillig und wurde mit einer schriftlichen Einverständniserklärung bestätigt (Referenz-Nummer: PV3649).

ORCIDs der Autor*innen

Danksagung

Wir danken allen Medizinstudierenden für ihre Teilnahme.

Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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