Psychosomatische und kinder- und jugendpsychiatrische Fälle im webbasierten Ulmer Lehr- und Lernsystem "Docs 'n Drugs"
Andrea B. Horn 1Ferdinand Keller 2
Jörn von Wietersheim 3
Christian Nikolopoulos 4
Bettina Kessler 1
Uta-Maria Waldmann 5
Laura Weninger 6
Harald C. Traue 1
1 Universitätsklinikum Ulm, Sektion Gesundheitspsychologie, Ulm, Deutschland
2 Universitätsklinikum Ulm, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Ulm, Deutschland
3 Universitätsklinikum Ulm, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Ulm, Deutschland
4 Universität Ulm, Abt. II-3, Internationale Angelegenheiten, Ulm, Deutschland
5 Universität Ulm, Abteilung Allgemeinmedizin, Ulm, Deutschland
6 Universitätsklinikum, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Ulm, Deutschland
Abstract
Background: The aim of this project is to process psychosomatic and child and adolescent psychiatry according to a didactic concept which aims at problem-oriented, case-related, self-directed learning.
Method: Docs 'n Drugs offers favourable conditions for the realisation of this concept. Accordingly, this e-learning software was extended to be able to contextually illustrate the structure of psychodiagnostic decision making.
Results: The structural extension of Docs 'n Drugs has been successful; 10 psychosomatic and paediatric and adolescent psychiatric cases could be designed and consigned to the programme.
Outlook: The challenge for the future is represented by the integration of these didactic elements in university teaching. Central to this is on the one hand the accessibility of the educational objectives to the learners, and on the other the guarantee of the technical conditions for smooth running.
Projektbeschreibung
Docs 'n Drugs ist ein fallbasiertes Lehr-/Lernsystem für medizinische Studiengänge. Anhand von Lehrfällen aus verschiedenen Fachbereichen der Medizin werden an virtuellen Patienten konkrete diagnostische Problemlösefähigkeiten und Entscheidungsfähigkeit im simulierten medizinischen Alltag trainiert. Docs 'n Drugs ist ein Lehr- und Lernsystem im medizinischen Unterricht der Universität Ulm. Mit Hilfe moderner Softwaretechnologie ist ein leicht erlernbares und intuitiv bedienbares Anwendungssystem für Lerner und Autoren entstanden. Das in Docs 'n Drugs entwickelte Lehrsystem ermöglicht innovatives, orts-, zeit-, patienten- und dozentenunabhängiges, fallbasiertes Lernen. Mit dem Programm ist es möglich, Untersuchungen durchzuführen, Diagnosen zu stellen und entsprechende Therapieschritte einzuleiten. Docs 'n Drugs trainiert die ärztliche Entscheidungsfindung und das Erkennen von Handlungserfordernissen.
Eine Voraussetzung hierzu war die generische Repräsentation medizinischer Inhalte und Lehrprozesse sowie der Einsatz von wiederverwendbaren Komponenten, Standards und Schnittstellen bei der Konzeption und Implementierung des Lernsystems. Grundlage des Lernsystems ist problemorientierten Unterricht durch die Einführung eines fallorientierten, webbasierten Lernsystems zu stärken.
Ziel des von der Fakultät im Rahmen der Baustein-Lehrprojekte geförderten Projekts war die Erweiterung des e-learning-Moduls Docs 'n Drugs und damit der generischen Repräsentation um psychiatrischer und psychosomatischer Beispielfälle und Inhalte. In Anbetracht der Tatsache, dass psychische Störungen immer höhere Prävalenzen erreichen, ist die Integration dieses medizinischen Feldes naheliegend: So prognostiziert die WHO, dass Depressionen als die häufigste psychische Störung bis 2011 die zweithäufigste aller somatischen wie psychischen Krankheiten weltweit sein wird (vgl. burden of disease, WHO 2001). Die Komorbidität mit allen Arten von somatischen Krankheiten ist hoch, so dass eine fundierte Ausbildung in psychosomatischer und psychiatrischer Diagnostik gerade auch in anderen Disziplinen der Medizin wie beispielsweise im internistischen und allgemeinärztlichen Bereich sehr relevant ist. Ca. 30% der Besucher von Hausarztpraxen weisen psychische oder psychosomatische Störungsanteile auf.
Abgesehen von der epidemiologischen Verbreitung der Störungsbilder selbst, besteht auch quantitativ wie qualitativ nach der neuen Approbations-Ordnung ein erhöhter Bedarf im Bereich der Lehre für diesen Bereich: Verbesserte Lehre durch multimediale Aufbereitung von Fällen mit psychischen und psychosomatischen Störungen kann in den schon vorhandenen Unterrichtsfächern wie auch in den neuen Integrierten Seminaren mit klinischen Bezügen zum Einsatz kommen.
Der Bereich psychiatrischer und psychosomatischer Störungen eignet sich mehr als mancher denken mag für diese didaktische Methode und wird in der Psychosomatischen und Medizinpsychologischen Forschungs- und Lehrgemeinschaft gefordert und gefördert [1]. Die Erhebung der Diagnosen psychischer Störungen geschieht state of the art-gemäß weitgehend mit standardisierten Anamnesen und Checklisten, die Entscheidungsregeln der Diagnosefindung (wenn x Symptome von y Symptomen vorhanden, dann Diagnose z), sind expliziter als in manch anderem Fach der Medizin und damit informatisch nachzuvollziehen und didaktisch klar zu vermitteln. Wegen der besonderen Relevanz der Beziehung zwischen Behandelnden und Patientin/en und der eventuellen Störung der Beziehungsgestaltung durch die Anwesenheit Dritter bietet sich die innovative, patientenunabhängige Arbeit mit virtuellen Patienten gerade in diesem wichtigen Bereich an. Erste Evaluationen von Docs 'n Drugs zeigen, dass die Studierenden diese Form des e-learnings sehr gut annehmen und es als Möglichkeit der Übermittlung komplexen medizinischen Fachwissens und zum Erlernen von im klinischen Alltag hochrelevanten Fähigkeiten schätzen [2]. Es bietet anders als die meisten, nicht intelligent verknüpften Medien die Möglichkeit, Entscheidungsprozesse nachzustellen und damit dem Studierenden, klinische Heuristiken didaktisch explizit auszuarbeiten und damit leichter lernbar zu machen. Da dabei der Studierende selbst inhaltliche Schwerpunkte, Tempo und Stil der Wissensaneignung selber wählen kann, gibt es einen selbststeuernden Moment, der, wie in der Pädagogik und pädagogischen Psychologie bekannt, motivationale Vorteile hat und die Nachhaltigkeit des Lernens günstig beeinflusst [3].
Ziel des Projektes ist es, typische Anamneseabläufe und diagnostische Entscheidungsprozesse des psychosomatischen und kinder- und jugendpsychiatrischen Bereiches nachzubilden. Dazu mussten Elemente des Autorensystems von Docs 'n Drugs erweitert und auf die spezifischen Anforderungen des psychiatrischen und psychosomatischen Patientenklientels adaptiert werden. Wichtig war dabei auch die Erweiterung der bewährten bestehenden e-learning Oberfläche von Docs 'n Drugs um Spezifika dieser Fachbereiche. Dem Studierenden stehen in Docs 'n Drugs Bereiche wie körperliche Untersuchungen, Labor und eben Anamnese zur Verfügung. Der Anamnesebaum wurde um einen zusätzlichen Unterpunkt Psychodiagnostik erweitert. In diesen wurde versucht, die Inhalte einer psychodiagnostischen Anamnese in einer hierarchischen Struktur abzubilden. Unter den Punkten Exploration (psychische Symptome aktuell), umfassende biographische Anamnese, Fremdanamnese, Beobachtung in Untersuchungssituation und Psychodiagnostische Testverfahren, die wiederum in einzelnen, anklickbaren Unterpunkten aufgegliedert sind, hat der Studierende die Möglichkeit, die für den speziellen Fall relevanten Inhalte zu erfragen und dabei, wie in der klinischen Gesprächsituation, aus der Fülle von Erfragbarem auf bestimmte Themengebiete Schwerpunkte zu legen. So lernt der Studierende beispielsweise im kinderpsychiatrischen Fall, der ein aufmerksamkeitsgestörtes Kind darstellt, dass ohne das Erheben einer Fremdanamnese von Elternteil und Schule, die Diagnose nicht abschließend zu stellen ist. In Docs 'n Drugs äußert sich dies folgendermaßen: die Diagnosediskussion, ein Tool, das die "erfragten" (sprich angeklickten) Inhalte mit erfasst und dem Studierenden, die für und gegen die Diagnose sprechenden, von ihm oder ihr bereits erhobenen Inhalte zusammenfassend darstellt, gibt keine abschließende Bestätigung der Diagnose. Damit wird der Studierende aufgefordert, so lange weiter zu explorieren, bis er die relevanten Inhalte eruiert hat.
Die didaktische Aufarbeitung der Fälle und die Entwicklung der im Lernprogramm tutoriellen Bewertungen und Kommentare sind anhand von Fällen aus der psychotherapeutischen
Ambulanz und der psychosomatischen Tagesklinik sowie der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätklinikums Ulm entstanden. Die Auswahl der Fälle erfolgte nach Gesichtspunkten der klinischen sowie der Prüfungsrelevanz nach der neuen AO und didaktischen Aspekten. So sind Fälle zu folgenden Diagnosen entstanden: Depression, Borderline Persönlichkeitsstörung, Reizdarm, Bulimie, Kopfschmerz und Panik (Fallautorinnen: Bettina Kessler, psychosomatischer Anteil; Uta-Maria Waldmann, allgemeinärztlicher Anteil) sowie aus dem Bereich der Kinder und Jugendpsychiatrie: Aufmerksamkeitsstörung, Tourette Syndrom (Ticstörung), und Asperger Syndrom (Autismus) und Anorexie (Fallautorin: Laura Weninger) .
Zur transparenten Dokumentation und als Information für die Lehrenden, die e-didaktisches Material in ihren Unterricht bei bestimmten Lernziele integrieren wollen, sind für jeden Fall Profile erstellt worden, die folgende Punkte enthalten: Fallname, Falldiagnose, Fallrichtung/Fachbereich, Leitsymptom, Fallautor, Fallerstellung, Letztes Update des Falles, Lernziele / Schwerpunkte des Falles (take home message), Möglichkeit für die Einbettung im Unterricht, Kommentar des Autors.
Wichtig ist weiterhin die Berücksichtigung des "Qualitätskriterienkatalogs für elektronische Publikationen in der Medizin" Deutsche Gesellschaft für medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS). Nach Entwicklung des Fallmaterials sollen nun Evaluationen, v.a. im Rahmen der Blockpraktika Psychiatrie und Psychosomatik vorgenommen werden. Die Ergebnisse der Evaluation sollen auch zu einer Weiterentwicklung des tutoriellen Anteils und zu dessen Anpassung an die Bedürfnisse der Studierenden gerade auch im Hinblick auf ein didaktisch sinnvolles Fehlermeldesystem für inhaltliche Fragen genutzt werden. Nach einer Pilotierung mit Studierenden des Blockpraktikums Psychiatrie und Psychosomatische Medizin soll das Review-Verfahren der Zertifizierungskommission von Docs 'n Drugs durchlaufen werden, mit dem Ziel der Zertifizierung und Freigabe der erarbeiteten Fälle im Rahmen von Docs 'n Drugs. Dieser inhaltliche Prozess ist allerdings stets uneingeschränkt abhängig von dem Funktionieren des laufenden Programms, so dass neben der didaktisch-medizinschen Expertise auf Informatikkompetenzen für die Wartung und Aktualisierung der komplexen Lernsoftware nicht verzichtet werden kann.
Danksagung
An dieser Stelle herzlichen Dank auch an Petra Ritschi für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Erstellung der Fälle.
Literatur
[1] Traue HC. e-learning für psychosoziale Lehrinhalte. Psychother Psychosom Med Psychol. 2003;53(H.8):325.[2] Kessler B, Traue HC. Evaluation of Docs 'n Drugs: a computer animated, cased based learning program, which is integrated in the medical curriculum at the University of Ulm, Germany. Washington (USA): Seventh Annual Meeting of the International Association of Medical Science Educators; 2003.
[3] Friedrich HF, Mandl H. Analyse und Foerderung selbstgesteuerten Lernens. In: Weinert, FE, Mandl H (Hrsg.). Psychologie der Erwachsenenbildung. Enzyklopaedie der Psychologie, Themenbereich D, Praxisgebiete, Serie I, Paedagogische Psychologie, Band 4. Göttingen: Hogrefe. 1997:237-293.